Mittwoch, 2. April 2025

Der Wert der Dinge

In meinem Badezimmer stehen verschiedene Fläschchen mit allerlei Parfüms und Düften. Da sind die hochwertigen Flacons vom weihnachtlichen Gabentisch neben den einfachen Familienpackungen mit parfümiertem Deodorant für den Alltag. Manche duften nach Orange, andere verbreiten das Aroma von Mittelmeer und Urlaub. Erfrischen tun sie alle, ein mehr oder weniger angenehmes Hauterlebnis inbegriffen.

Der Wert der Dinge
Doch sie unterscheiden sich deutlich in der Packungsgröße und im Preis. Steht erst mal der Name einer exklusiven Parfummarke darauf, wird es teuer. Und das bei einer recht kleinen Menge. Ehrfürchtig betrachte ich sie, merke sie für das besondere Erlebnis am Samstagabend vor. Eine kleine Portion muss genügen, ich genieße sie vom Öffnen der Flasche bis zum Duschen am nächsten Morgen.

Die Verknappung (kleine Verpackungseinheit) oder der hohe Preis führen also zu einem anderen Umgang mit der Ware. Das beobachtet man auch bei anderen Situationen im Alltag. Ist das teure Obst a priori besser als das billige? Und warum genießen wir nicht auch diejenigen Lebensmittel als etwas Besonderes, die inzwischen zur Massenware geworden sind: Stichwort Südfrüchte.

Klein und teuer ist also wertvoll und erzeugt bei mir unwillkürlich eine erhöhte Wertschätzung. Dabei ist das im einen oder anderen Fall gar nicht zutreffend, sei es, dass die Seifengrundlage des Premiumproduktes gar nicht so gut ist, sei es andererseits, dass ein preisgünstiges Produkt aus dem Drogeriemarkt hervorragende Dienste leistet.

Marketingstrategen kennen das. Man adressiert über den Preis auch eine bestimmte Käufergruppe, schließt explizit die Schnäppchenjäger aus oder wendet sich bewusst an einen Massenmarkt. Einen guten Preis zu setzen, der von der Zielgruppe akzeptiert wird und von dieser nicht nur bezahlt, sondern auch als Gruppendefinition verstanden wird, ist eine Kunst für sich. Wer den Sommer im Club Robinson Urlaub verbringt, möchte nicht nur einen hochwertigen Urlaub erleben, sondern auch von Seinesgleichen umgeben sein.

Fazit: Die Preisgestaltung (bzw. Wertschätzung) ist bei allen Dingen - von Produkten bis zu den eigenen Fähigkeiten - ein Schlüsselfaktor. Da kann man leicht mal unter Wert verkaufen und damit seine Leistung verramschen. Oder allzu hoch pokern und den Marktwert überhöht einstellen. Dann dürfte es schwer werden Interessenten zu finden.

Und als zweite Folgerung aus dem Bild von den Parfümfläschchen kann man sich immer mal wieder die Frage stellen, ob die individuelle Wertschätzung nicht von außen gesteuert wurde. Das gilt natürlich nicht nur für Produkte, sondern auch für Gestaltung, Arrangement, Aussehen und nicht zuletzt für die Liebe in all ihren Ausprägungen.

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Donnerstag, 27. März 2025

Wurm, Fisch, Angler und IT

Eine kleine Weisheit besagt, dass der Wurm dem Fisch schmecken muss, nicht dem Angler. Dieses Bild enthält einige Aspekte, die man sich mal im Detail anschauen kann. Ergänzt um weitere Perspektiven ergibt sich:
  1. Nicht jeden Fisch kann ich mit jedem Köder erfreuen. Wie ich die Zielgruppe optimal erreiche, kann sehr unterschiedlich sein. Das richtige Schlagwort, die richtige Emotion oder das Betonen einer bestimmten Eigenschaft können höchst verschieden sein.
  2. Was aus meiner Sicht gut und wichtig ist, kann für meine Mitmenschen total nebensächlich sein. Wenn ich jemand für mich oder meine Sache gewinnen möchte, dann muss ich seine Wünsche antizipieren.
  3. Je besser ich von meiner Sicht abweichend zur Sicht der Zielgruppe wechseln kann, desto besser schaffe ich die Verbindung. Nicht meine Sicht der Dinge ist entscheidend, sondern die der Gegenseite.
  4. Ich bin der Angler. Ziel ist es, aus dem großen Teich die gewünschten Fische zu ziehen. Es besteht die Gefahr des Beifangs, dass also Fische an die Angel gehen, die ich gar nicht haben wollte.
    Das ist schwierig, weil um die begehrten Fische noch ganz viel Wasser ist, die Treffwahrscheinlichkeit also relativ gering ist.
  5. Ich bin auf der Suche nach Fischen, also Wesen, die ein eigenes Leben und einen eigenen Willen haben. Standard-Köder erwischen auch nur Standard-Fische.
Wurm, Fisch, Angler und IT


Und hier ein paar Beispiele, warum das Bild vom Wurm und dem Fisch auch in der IT angewendet werden kann:
  1. Software-Entwicklung: Benutzeroberfläche und Funktionen sollten sich an den Bedürfnissen der Benutzer orientieren.
  2. IT-Sicherheit: Vorgaben und Maßnahmen sollten so gestaltet sein, dass die Anwender sie auch verwenden wollen und können.
  3. Software-Funktionalität: Eine einfach zu bedienende Oberfläche mit den für Standard-Anwender relevanten Optionen ist wichtiger als eine unübersehbare Vielfalt, die jeden Sonderfall abdeckt.
  4. IT-Support: Kommunikation in der Begriffswelt der Anwender und Erläuterung für technisch weniger versierte Menschen sollte selbstverständlich sein.
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Dienstag, 11. März 2025

Lügen haben kurze Beine

Meine Hände werden langsam kalt. Mit Elan war ich heute Morgen aus dem Bett, ins Bad, die Küche, zum Auto gelaufen und hatte einen guten Parkplatz am Bahnhof erwischt. Der Tag war mein Freund, alles bestens. Dass der geplante Zug ausfiel und der nachfolgende Zug Verspätung haben sollte konnte meine Laune nicht wirklich herunterreißen. Es war auch noch erträglich, als der nachfolgende Zug anstelle der Verspätung abgesagt wurde: Störung am Triebkopf.

Lügen haben kurze Beine
Die zweite Alternative fiel dann auch aus, mittlerweile saß ich eine halbe Stunde am Bahnhof. Immerhin hatte ich einen der wenigen Sitzplätze im zugigen Wartehäuschen ergattert. Einsetzender Nieselregen trieb die anderen Wartenden ebenfalls in das Häuschen, hier konnten wir der Absage des nächsten Zuges lauschen. Und so ging es weiter. Züge, die eben noch als pünktlich angezeigt wurden hatten erst mal Verspätung, verschwanden dann komplett von der Anzeigetafel oder wurden als Verbindungsausfall aufgeführt.

Salamitaktik mit phantasievollen Begründungen für den lahmgelegten Verkehr. Inzwischen hat der Bahnhof seit knapp anderthalb Stunden keinen Zug mehr gesehen. Und jetzt das Highlight für das frierende menschliche Transportgut: "Verspätung aus vorausgehender Fahrt." Welche vorausgehende Fahrt kann denn gemeint sein? Hier fährt nichts, was den Ablauf stören könnte. Wer wirft denn die Kugel ins Ausreden-Roulette?

Vermutlich hat die Bahn Geld dafür ausgegeben, sich von einer teuren Beratungsfirma Tipps für den Umgang mit Verspätungssituationen geben zu lassen. Ganz oben an der Oberfläche schlagen die Verspätungen und Zugausfälle zu den Reisenden durch. Das ist sozusagen der Husten, der uns in der Erkältungswelle erfasst. Da kann man dann sagen "Husten Sie bitte in eine andere Richtung." Die Bahn bietet Durchsagen mit Begründungen aus einem Pool verschiedener Formulierungen.

Jetzt könnte man natürlich auch Hustenstiller oder -löser nehmen. Also etwas gegen die Symptome machen. Die Verspätung wird damit zwar nicht geändert, aber immerhin kann man das Warten erträglicher machen. Heiße Getränke, ein zugfreier und beheizter Wartebereich könnte die Situation ein wenig entspannen. Oder man bekämpft die Erkältung, so dass der Husten verschwindet, an die Stelle einer Symptombekämpfung tritt die Ursachenbearbeitung.

Ein Ersatzzug, Ersatzverkehr, Zusatzangebote und Umleitungen haben das Potential, eine auftretende Störung für die Reisenden unsichtbar zu machen. Während der Körper sich regeneriert, werden die wesentlichen Funktionen aufrechterhalten. Wir fühlen uns ein wenig angeschlagen, aber eigentlich geht es uns noch ganz gut.

Und schließlich die Königsdisziplin: Vorbeugen. Was dem Körper sein Saunabesuch, seine gesunder Ernährung und die Wahl geeigneter Kleidung ist, das könnten bei der Bahn ausreichende Reserven, Notfallpläne und die Bereithaltung von Alternativen sein. Und so wie ein Körper von Natur aus auf Infektionen bis zu einem gewissen Grad gerüstet ist, so müssen auch hier der Fahrplan und damit zusammenhängende Prozesse resilient gestaltet werden. Pannen und Störungen gehören zum Alltag und müssen aus der Rubrik "Ausnahmezustand" in die Rubrik "Alternativzustand" überführt werden.

Das erfordert ein wenig Phantasie, aber der Körper macht es uns vor. Elemente wie ein Immunsystem, ausgefuchste Reparaturmechanismen und eine beeindruckende Vielfalt von Backupsystemen sind ein Vorbild für alle technischen Abläufe und Prozesse. Damit es nicht bei gutgemeinten Fahrgastberuhigungsansagen bleiben muss.

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Mittwoch, 26. Februar 2025

Vergleichen und verglichen werden

Wer Sport betreibt, ist fast immer von anderen Menschen umgeben, die sich auch in irgendeiner Form mit Sport beschäftigen. Und an dieser Stelle beginnt der mehr oder weniger offenkundige Wettkampf. Eine Fußballmannschaft spielt gegen eine andere Mannschaft und will gewinnen. Ein Kugelstoßer versucht die Kugel weiter fliegen zu lassen als sein Nachbar. Im Freihantelbereich zählt die Anzahl der Gewichtsplatten, die man gehoben bekommt. Und so weiter.

Viel Platz also, seine eigene Leistung mit der Leistung von Mitsportlern (oder anderen Mannschaften) zu vergleichen.

Alternativ gibt es Sportler, die das gar nicht wollen, den Wettkampf vermeiden und sich nur auf sich selbst konzentrieren. Die Beobachtung der eigenen Entwicklung und der erreichte Fortschritt sind für sie die Motivation für ihre Anstrengung. Sie vergleichen sich nicht auf dem Fußballplatz, meiden Wertungsrichter und schauen lieber in den Spiegel.

Doch Vorsicht, auch hier gibt es mehr Vergleich, als man vielleicht denkt. Denn auch wenn man selbst nicht vergleicht, wird man verglichen. Heimlich wird man beobachtet, geschaut, wie gut die Grätsche gelingt, wird beiläufig gefragt, wie lange man für die Joggingrunde durch den Wald braucht. Ob man will oder nicht, ob man es merkt oder nicht: Auch hier lauert Wettkampf, Vergleich, Bewunderung oder Neid.

Und dann passieren ganz unerwartete Dinge. Das heimlich gebildete Urteil der Mitmenschen äußert sich in verschiedenen Aktionen. Die Freude am Waldlauf wird mit Hinweis auf aggressive Wildschweine relativiert. Nachbarn betonen, dass sie gar kein neues Auto haben wollen und so weiter. Überhaupt wird gerne alles madig gemacht, was von den hauptberuflichen Vergleichern nicht erreicht wird, wo sie also das Gefühl haben, einen (imaginären) Wettkampf verloren zu haben. 

Hineingezogen werden in einen Wettbewerb. Und darauf hingewiesen werden, dass man ein Ziel verfehlt hat, welches man bis dahin gar nicht angepeilt hat. Für dieses Gefühl des Gewinnens nehmen die Wettkämpfer nicht nur hartes Training in Kauf, sondern auch die Verletzung der Gegner. Solange nämlich ein Gegner auch nur ansatzweise ernst zu nehmen ist, wird er wie in der Tierwelt gebissen und bekämpft. Kneifen gilt nicht, sie erwarten ein klares Eingeständnis, dass man verloren hat, der Underdog ist. Für Win-win ist da natürlich kein Platz, nein, es gibt nur Gewinner oder Verlierer; Auf dem Siegerpodest ist kein Platz für mehr als eine Person.

Eine Arena ist schlichtweg überall, nicht nur im Sport. Materielle und immaterielle Güter, Verhalten, Aussehen, Fähigkeiten: Alles lässt sich vergleichen, betonen oder kritisieren und schlecht machen. Wer von Natur aus Wettkämpfer ist, wählt seine Bühne sehr sorgfältig aus und stellt sich nur, wenn er die Chance auf einen Gewinn hat. Und wer kein Wettkämpfer ist, der versucht dem Verglichen-werden auszuweichen und führt seine Mitmenschen zu einem Ring, in dem sie sich an anderen Personen abarbeiten können.

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Mittwoch, 19. Februar 2025

Herden und deren Geruch

Herden und deren Geruch
Wer jemals getanzt hat und das entsprechende Magazin "Der Tanzspiegel" kennt, der hat sie schon tausendfach gesehen. Die jungen Tänzer, in Pose geworfen, mit einem grimassenhaften Lächeln im Gesicht. Es gehört einfach zum guten Stil, dass man wie ein Schauspieler eine Art Freudenausdruck zur Schau bringt. Das Tanzen selbst ist eher Nebensache. In etwas abgespeckter Form erlebt man das auch in der Tanzschule. Was man ab dem Bronzekurs zu sehen bekommt, ist vielleicht noch keine hochwertige Tanzshow, aber jedenfalls breite Arme, selbstbewusste Gesten und voller Überzeugung dargebotene Figuren.

Was passiert da gerade? Diese Nachwachsenden signalisieren noch vor Erreichen einer gewissen Kompetenz, dass sie zu der Herde gehören wollen. Sie ahmen das Verhalten nach, das Auftreten, die Kleidung, auch die Sprache. Einfach alles, was sich an Äußerlichkeiten mehr oder weniger leicht adaptieren lässt. Und erarbeiten sich damit schon frühzeitig einen gewissen Stallgeruch, der sie einerseits zu einem Teil dieser Gesellschaft macht, andererseits aber auch ihren Herdentrieb signalisiert.

Was für das Tanzen gilt, können wir auch in anderen Feldern wahrnehmen. Sei es die Affinität zu einer gewissen politischen Ausrichtung, die mit hennagefärbten Haaren und Jutebeuteln nach außen getragen wird, sei es ein Vorstandsanspruch, der sich in Form der Kleidung, Golfspielen und Gesprächsthemen wie Börsennotierungen zeigt. Wie auch immer, was diese Beispiele verbindet, ist das Voraneilen der Äußerlichkeiten gegenüber dem Aufbau der eigentlichen Teamkongruenz. Oder anders formuliert dem Antritt, zur Herde zu gehören. Dabei kann diese Zugehörigkeit ein Mitlaufen sein, aber durchaus auch mit einem Führungsanspruch gekoppelt sein.

In Abgrenzung dazu gibt es Menschen, die auf Herdenzugehörigkeit gar keinen Wert legen. Sie sind deshalb nicht unbedingt Einzelgänger, können auch je nach Rolle Teil einer Gemeinschaft sein. Aber sie sind in ihrer Grundstruktur Selbstständige. In vielen Fällen füllen sie diese charakterliche Ausprägung auch im Beruf aus, machen ein eigenes Geschäft auf, gehen ihren Weg durch das (Berufs-)Leben ohne Rücksicht auf andere. Mitarbeiter sind willkommen, sind aber nicht wirklich Teil des Rudels und können nur beratend, nicht aber steuernd mitmachen.

Ein besonderes Spannungsfeld kann man in Familienbetrieben beobachten. Typischerweise hat der Senior den Betrieb (als Selbstständiger) gegründet und entwickelt. Und nun rückt ihm eines seiner Kinder nach. Vom Erbgut, dem erlebten Leben und der Erziehung her ist dieses Kind mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch vom Typ Selbstständiger, muss sich aber jetzt zur Zusammenarbeit mit den Eltern in eine Art Herde begeben. Und damit gibt es einen vorprogrammierten inneren (Rollen-)Konflikt.

Und auch in vielen Alltagssituationen wirkt sich dieser grundlegend unterschiedliche Charakter aus. Wer zu einer Gruppe dazugehören will, nimmt ja nicht nur deren Rituale an, redet in deren Sprache und sucht bestimmte Orte auf. Er ordnet bei Bedarf seine eigenen Bedürfnisse und manchmal auch die Bedürfnisse der Umgebung seinem Ziel unter. Da gibt es keine Diskussion, dass die Freundin auch mit zu einer politischen Versammlung, einem Sportevent oder einem Galadinner geht.

Das kann mit dem Selbstständigen auch passieren, allerdings aus ganz anderen Gründen. Er hat das in seiner Welt entschieden, hält es für die einzig richtige Lösung und setzt diese notfalls auch gegen den Willen seiner Mitmenschen durch. Die Herde spielt für ihn nun mal keine Rolle, wer mit ihm geht ist willkommen, wer nicht mitgeht lässt es halt.

Unter dem Strich ist es jedenfalls hilfreich, sich selbst, seine Partner und Familienangehörige, Mitarbeiter und alle möglichen anderen Wegbegleiter in dieser Hinsicht richtig einzuschätzen. Denn es macht wie in den Beispielen gezeigt bestimmtes Verhalten vorhersehbar.

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Mittwoch, 12. Februar 2025

Gefühltes Recht

Mein Arbeitsplatz liegt an einer stark befahrenen Straßenkreuzung in Frankfurt. Abgesehen von meiner morgendlichen Überquerung dieses Verkehrsknotens kann ich auch in der Pause mal einen Blick auf die Straße werfen. Da kommen von allen Richtungen in ununterbrochenem Strom Autos, Fahrräder, Fußgänger und Straßenbahnen an und passieren nach mehr oder weniger langer Wartezeit diese Stelle.

Gefühltes Recht
Gerade durch die hohe Auslastung ist die Kreuzung praktisch immer gefüllt, zu Stoßzeiten dauert es eine Weile, bis die Autos weiterfahren können, zwischen den Autoschlangen schieben sich Straßenbahnen hindurch. Und obendrein bahnen sich auch noch Fußgänger ihren Weg zwischen den Fahrzeugen. Ein Gewimmel und Gewusel, das jeder so schnell wie möglich hinter sich bringen möchte. Das führt bei den Autofahrern dazu, dass sie sich über die Fahrzeuge ärgern, die in der Kreuzung stehen und sie am Überqueren hindern. Wütend über die lästige Verstopfung und das gehinderte Einfahren in die Kreuzung hupen sie und gestikulieren wild mit den Händen.

Sie sind der festen Überzeugung, dass sie ein Recht auf den Eintritt in die durch die Anderen vollstehende Kreuzung haben und diese ihnen unberechtigt im Weg stehen. Das ist aber laut Straßenverkehrsordnung falsch. Tatsächlich ist eine Kreuzung grundsätzlich freizuhalten. Weder darf man noch schnell bei gelb hineinschlüpfen, obwohl absehbar ist, dass man sie nicht zügig verlassen kann. Noch darf man in eine vollstehende Kreuzung fahren, auch wenn die Ampel grün zeigt. So ärgerlich es ist, da muss man warten, bis der Weg frei ist und man davon ausgehen kann, dass man die Kreuzung innerhalb der Grünphase auch wieder verlassen kann.

Ein typischer Fall, bei dem das gefühlte Recht von der tatsächlichen Gesetzesvorgabe abweicht. Ebenfalls aus dem Straßenverkehrsrecht eine häufige Fehleinschätzung: Vorfahrtsregelung auf Parkplätzen. Die meisten Autofahrer denken, auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt gelte rechts-vor-links. Bestärkt durch ein Schild "Hier gilt die Straßenverkehrsordnung" sind sie der Meinung, dass ein von links kommendes Auto von vornherein zu warten hätte. Falsch. Denn die Flächen zwischen den Haltebuchten sind keine Fahrbahnen, sondern Rangierflächen. Und damit gilt hier die Vorgabe der gegenseitigen Verständigung. Sinnvollerweise kann man nicht global festlegen, wer zuerst fährt, das ergibt sich im jeweiligen Fall je nach Platzverhältnissen und Verkehrssituation.

Auch hier ist es weder zulässig noch rechtens, sich hupend, schimpfend oder durch ruppige Fahrweise seine vermeintliche Vorfahrt zu erkämpfen. Abgesehen davon, dass man nicht jedes Recht in Anspruch nehmen muss, vielleicht auch in einer großzügigen Geste auf seinen eigenen Vortritt verzichten kann. In jedem Fall aber Vorsicht, auch wenn man sich im Recht fühlt. Denn häufig ist das gar nicht der Fall.

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Mittwoch, 5. Februar 2025

Grundkurs Statistik

Grundkurs Statistik
Vor kurzem ist mal wieder ein TÜV-Report veröffentlicht worden. Die großen Marken lagen wie gewohnt auf den vorderen Plätzen, Premium-Modelle dominierten die Rangliste. Und weit abgeschlagen die kleinen Fahrzeuge, vorwiegend aus ausländischer Produktion. Natürlich, schießt einem da durch den Kopf, es geht eben nichts über deutsche Ingenieurskunst, das seit vielen Generationen verankerte Wissen und die hieraus abgeleitete Qualität. Im Grunde bestätigt die Statistik die Einstellung, die man schon vorher hatte.

Doch so einfach wie die Medien es suggerieren ist es nicht. Bei genauerer Betrachtung spielen neben der Produktionsqualität noch eine Reihe anderer Faktoren eine Rolle. Wer sich einen gebrauchten Kleinwagen eines unbekannten Herstellers kauft, der hat tendenziell kein Geld für regelmäßige Wartung. Der fährt bei der Hauptuntersuchung vor und hofft, dass er ungeschoren davonkommt. Eine Erneuerung der Reifen oder ein notwendiger Austausch des Scheinwerfers wurde aufgeschoben und führt nun zur Verweigerung der Plakette.

In die Statistik fließen also indirekt auch Kundenprofile ein. Die Interpretation der auf den ersten Blick plausiblen Zahlen ist also gar nicht so einfach. Wobei der TÜV-Report nur ein Beispiel dafür ist, dass man genau hinschauen muss. Das gilt ebenso für alle anderen Zahlenwerke, denn Statistik hat von Natur aus zwei typische Eigenschaften. Beruhen die Erkenntnisse auf wenigen Zahlen, dann stellt man sich die Frage, wie repräsentativ die Auswahl ist. Und daneben spielt auch die Einbettung, also der Kontext, eine Rolle. Dann drittens muss man sich mit Definitionen beschäftigen. Was versteht man denn im TÜV-Report unter "durchgefallen"? Sind es die völlig maroden Querlenker oder ist es der vorausschauend notwendige Ersatz einer Dichtungsmanschette?

Im Polizeibericht des Frankfurter Bahnhofsviertels wird eine hohe Kriminalität kolportiert. Muss man dort um Leib und Leben fürchten oder sind es die zahlreichen Drogendelikte, die die Zahlen in die Höhe treiben? Und in diesem Zusammenhang auch die Frage, ob man die Messungen miteinander vergleichen kann. In Wiesbaden gibt es überdurchschnittlich viele Ordnungswidrigkeiten im Bereich des ruhenden Verkehrs. Das liegt aber weniger an dem Gemüt der Autofahrer, die in dieser Stadt besonders wild parken. Sondern daran, dass reguläres Parken erschwert und die Kontrollen verschärft sind.

Und am Ende die Vergleichswerte. Ist fünfundneunzig Prozent eine gute Trefferquote? Sind zwei Promille Fehlentscheidungen einer KI gut oder schlecht? Wie steht der Wert vom Frankfurter Bahnhofsviertel im Vergleich zu Downtown Manhattan?

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