Mittwoch, 18. November 2020

Mensch, entspann‘ Dich!

Das ist manchmal schwerer als gedacht. Was auch daran liegt, dass wir nur meinen, dass wir uns entspannen, es aber eigentlich gar nicht tun.
Bei genauerer Betrachtung spielen hier drei Felder eine Rolle. Da ist erstens die körperliche Entspannung. Wenn wir erschöpft sind, dann setzen wir uns hin, ruhen uns aus oder halten ein Nickerchen. Jedenfalls bewegen wir keine Muskeln aktiv und senden dem Körper keine Signale oder Aufträge, die er ausführen muss.
Und zweitens haben wir den Geist, nennen wir es mal die Gedankenwelt. Hier ist ja meinst noch einiges los, obwohl wir uns hingesetzt haben, uns also nicht mehr wesentlich bewegen. Die Gedanken zur Ruhe zu bringen ist deutlich schwieriger. Da kann man nun mal nicht einfach einen Stuhl nehmen, um die Gedanken darauf setzen oder sie zum Schlafen legen. Wie ein störrisches Kind verweigern sie die Bettruhe. Es bedarf einer Führung der Gedanken, Angebote anderer Richtungen, oder gar höchste Disziplin: Der Anspruch, (vorübergehend) überhaupt nicht zu denken.
Das war schwierig? Dann wenden wir uns dem dritten Feld zu. Bei den seelischen Bewegungen ist es noch weitaus anspruchsvoller, über sie Herr zu werden. Was in mir und meiner Gefühlswelt vorgeht, ist kaum unter Kontrolle zu bekommen. Sie beschäftigt mich und mein Gehirn auch in den Phasen anderer Gedanken, mein Herz ist voll davon. Es zu entleeren heißt die eigenen Gefühle zu erkennen, sie ins Bewusstsein zu zerren und sie zu bearbeiten.

Diese drei Seiten sind eng miteinander verwoben, echte Entspannung finden wir nur, wenn alle Felder berücksichtigt sind. Selbst wenn Körper und Gedanken vom Ansatz her ruhiggestellt werden, können tobende Gefühle beispielsweise über Hormone immer noch den Blutdruck oder vielleicht Körperreaktionen wie Magenkrämpfe hervorrufen. Ähnlich kann man sich die Verknüpfung zwischen Geist und Körper vorstellen, sind die Gedanken geordnet, kann der Körper immer noch unruhig sein. Und so weiter.

Nun kennen wir etablierte Ansätze, die unausgesprochen diese Felder abdecken, sei es Meditation, Joga oder (traditioneller) Kampfsport. So unterschiedlich diese Beispiele sind, alle verbindet die Berücksichtigung mehrerer Seiten miteinander. 
Meditation ist am deutlichsten. Der Körper ruht, man gibt dem Geist Zeit, ebenfalls seine Ruhe zu finden. Zum Schluss kann man dann den Gefühlen eine Bühne anbieten, auf der sie sich darstellen und nach ihrem Auftritt ebenfalls zufrieden zurückziehen können.
Joga andererseits wird leider oft missverstanden als langweiliger Sport, wird in Fitnessstudios als Bewegungsangebot verkauft. Vom Grunde her verkehrt, es geht um das Erleben körperlicher Balance (auch eine Form der Ruhe) im Zusammenspiel mit gedanklicher Konzentration und (bei Bedarf) verbaler Thematisierung der Gefühle.
Ähnlich verhält es sich bei traditionellem Kampfsport. Die Bezeichnung ist in der deutschen Sprache irreführend, da es sich vom Konzept her nur indirekt um Sport handelt. Vielmehr steht neben sehr formalisierten Bewegungen auch die innere Haltung im Mittelpunkt. Das Einfühlen in den Gegner (emotionale Komponente) ist für einen erfolgreichen Kampf existentiell; körperliches „Gewinnen“ ist eher ein abfallendes Nebenprodukt. Und bei vielen dieser althergebrachten Körperkünste gibt es einen geistigen Weg („Do“ in Tae kwon do). In Summe sind also auch hier alle drei Seiten adressiert.

Wer meint, er könnte Entspannung erzwingen, kommt mit keinem dieser Ansätze wirklich ans Ziel. Weder kann man sich „Freilaufen“ (weil viel zu körperorientiert), noch ist die Erwartung an äußerlich initiierte Ruhe realistisch. Überhaupt geht es nicht als von Mitmenschen angebotene Dienstleistung, die Arbeit liegt in jedem Menschen selbst. Das ist anstrengend und kostet Zeit, ist aber nun mal der einzig erfolgversprechende Weg.

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