Mittwoch, 28. Juli 2021

Beipackzettel Organisationsänderungen

Mal ehrlich: Ich lese diese ellenlangen Zettel nicht durch, die in den Pillenpackungen enthalten sind. Allein diese Patentfaltung bringt mich in Rage, wenn man die Zettel einmal komplett aufgefaltet hat, bekommt man sie nie wieder zusammen.

Bestenfalls schaue ich mal rein, wenn ich die Dosierung nachschauen möchte oder noch seltener, wenn ich eine Nebenwirkung vermute.

Apropos Nebenwirkung. Vielleicht sind diese Beipackzettel doch nicht so unnütz. Warum gibt es sie nicht auch für Änderungen in Unternehmen. Wie heißt es so schön: Eine Arznei, die keine Nebenwirkung hat, hat auch keine Wirkung. Und so kenne ich das auch bei Organisationsänderungen. Da sollte sich der Initiator doch auch ein paar Fragen stellen und vor Umsetzung der Maßnahmen mehr oder weniger öffentlich beantworten.

  1. Was für eine Änderung ist vorgesehen und welches Ziel verfolgt sie?
    Was ist dieses Medikament und wofür wird es eingesetzt?
  2. Welche Abhängigkeiten und Auswirkungen auf andere Maßnahmen sind zu erwarten?
    Wechselwirkung mit anderen Medikamenten, Verstärkung und Abschwächung
  3. Welche Nebeneffekte kann man absehen, gestaffelt nach der Wahrscheinlichkeit?
    Nebenwirkungen
  4. Wie sieht der Zeitplan aus, muss man die Änderung „einschleichen“ oder startet man direkt mit der kompletten Bandbreite („Big Bang“)?
    Wie ist dieses Medikament einzunehmen
  5. Gibt es konkrete Abgrenzungen (z. B. darf in bestimmten Bereichen nicht umgesetzt werden)?
    Hinweise für Schwangere, Kinder unter x Jahren, Risikogruppen
  6. Was ist für den laufenden Betrieb zu beachten?
    Einschränkung im Straßenverkehr und dem Bedienen von Maschinen
  7. Was muss man tun, wenn (Teil-)Maßnahmen nicht umgesetzt werden oder das Herangehen zu starke Reaktionen hervorruft
    Wenn Sie versehentlich zu wenig oder zu viel eingenommen haben

Natürlich versuchen wir, einige dieser Punkte in der Projektdefinition zu bearbeiten, aber gerade Wechsel- und Nebenwirkungen werden oft viel zu wenig durchdacht und in die taktische Umsetzung eingeplant. Was dann vermeidbar zu unbefriedigenden Ergebnissen führt.

Und wie beim Beipackzettel: Man kann auch zwischendurch mal wieder reinschauen, vielleicht treten im Laufe der Zeit doch Nebenwirkungen ein, die am Anfang keine Rolle gespielt haben.

[Andere Blogs: Dienstliche GlossenFeingeistiges]

Mittwoch, 14. Juli 2021

BWL oder Medizin?

Ich habe mich gefragt, ob ich lieber Betriebswirtschaftslehre oder Medizin studieren möchte. Warum „oder“, sind doch die Überlegungen in beiden Fällen ziemlich ähnlich, es sind komplexe Systeme, über deren Funktion (Anatomie / Organisationsstruktur) man sich Gedanken machen kann. Welche Körperteile (Organisationseinheiten) braucht man, wie spielen sie zusammen (Stoffwechsel / Ablauforganisation), wo ist Wertschöpfung (körperliche bzw. geistige Leistung) und wo handelt es sich um Verschwendung?

Dann natürlich die Verhältnisse (Benchmark) der Einheiten, hat sich Fett (bürokratischer „Wasserkopf“) gebildet, ist eine Diät (Stellenabbau) notwendig – was beim Menschen wie beim Unternehmen eine mühsame Geschichte ist mit viel Widerständen und Tendenz zum Jojo-Effekt (gibt es auch bei Organisationsänderungen).

Und im Krankheitsfall (Sanierungsbedarf) wird diagnostiziert und mehr oder weniger fachkundige Experten (Ärzte / Unternehmensberater) wenden ihre Therapievorstellungen auf das System an. Was mal funktioniert, ein andermal leider nicht. Kein Körper ist wie der andere, bei Unternehmen kann man die Lösungen auch nur bedingt übertragen – zu verschieden sind die unsichtbaren Faktoren (Immunsystem / Kultur).

Schließlich noch „mens sana in corpore sano“ (gesunder Geist in gesundem Körper): So wie man den eigenen Körper durch regelmäßige Bewegung trainiert hält, so muss auch ein Unternehmen fortlaufend weiterentwickelt werden.

Es lassen sich noch viele weitere Parallelen finden, die Analogie ist verblüffend.

Ableitend können diese beiden Disziplinen also viel voneinander lernen, sei es die BWL von den jahrhundertealten Erkenntnissen der Medizin, sei es die Medizin in ihrer modernen Form von den Beobachtungen der Betriebswirte.

Mittwoch, 7. Juli 2021

Marketing (Das Katzenvideo)


Jens ist ein guter Kunde. Er schätzt meine unkonventionelle Sicht der Dinge und lässt sich gerne von mir beraten. Heute spricht er mich auf Marketing an. „Marketing“, sage ich, „Marketing folgt den Mustern von Werbung, und die sitzen ganz tief in unserem Gehirn. Wie ich mal hörte, spricht man vom Reptiliengehirn, weil es so alt ist.“

„Ja, ja“, sagt Jens, „sehr interessant – worauf willst Du hinaus?“

„Katzenvideo.“

Ich habe es mit diesem einen Wort auf den Punkt gebracht. Jens ist irritiert, weil die von ihm geforderte Kurzfassung nun selbst für ihn ein wenig zu kompakt ausgefallen ist.

„Vielleicht hätte ich auch ‚42‘ sagen können, es geht darum, die Frage konkreter zu stellen, sonst gibt es keine verwertbare Antwort. Was ist für Dich Marketing?“

Während er erläutert, was er darunter versteht, überlege ich, wie ich ihn auf seinem Weg zur Beantwortung seiner eigenen Frage begleiten kann. Ich werde ihm keine fertige Antwort präsentieren, für oberflächlich passende Empfehlungen wird er vorher schon seine Fachleute interviewt haben. Die für ihn brauchbarste Lösung muss aus ihm selbst heraus kommen.

„Ausgesprochen viele Menschen lieben Katzenvideos. Damit ist erst mal die Tür geöffnet. Was mag es sein, dass diese Filmchen uns so ansprechen, so sympathisch erscheinen. Niedlich. Kindchenschema?“

Jens überlegt und mäkelt herum, dass es nicht um die Vermarktung von Kuscheldecken geht. Er will seinen Technikkram am Markt platzieren und da helfen keine Katzenvideos.

„Jens, ich erwarte Mitdenken. Du sollst kein Katzenvideo produzieren, Du sollst Dir Gedanken machen, was tief in jedem Menschen Deiner Zielgruppe verankert ist. In der Kunst kennt man den goldenen Schnitt, ein Verhältnis von Proportionen, die uns unbewusst harmonisch und damit positiv erscheinen. Was ist der goldene Schnitt in Deinem Produkt, will sagen: welche Eigenschaften stehen in einem wahrnehmbar harmonischen Verhältnis zueinander?“

„Das ist mir jetzt alles zu abstrakt, ich will wissen, wie ich meine Artikel besser verkaufen kann. Du sollst einfach nur diese simple Frage beantworten.“

„Obacht!“, sage ich, „genau da liegt Dein Denkfehler. Die Frage ist zwar simpel, aber die Antwort ist vielschichtig und kann deshalb nicht von einem Experten alleine beantwortet werden. Aber Du, Du kennst Dein Produkt wie kein anderer, also kannst Du es in all seiner Leistung oder vielleicht sogar Schönheit beschreiben. Das ist der Ausgangspunkt, den Du für Dich erst klären musst. Dann die Proportionen erkennen, hiervon herausarbeiten, was im Reptiliengehirn Deiner Zielgruppe vorgeht und erst dann – nicht vorher – solltest Du Deine Vertriebler sukzessive einweihen und ihren Job tun lassen.“

„Das war zwar leider nicht die Antwort, die ich hören wollte“, grummelt er immer noch, „aber wenn ich mir noch mal strukturiert aufschreibe, was Du in welcher Abfolge von mir wissen willst, ist der Ansatz vielleicht gar nicht so schlecht.“

„Ja, ganz genau. Die Kernfragen zu beantworten kostet Deine kostbare Zeit, aber es ist ein Vorgang, den Du nicht delegieren kannst. Das ist ein Jens-Thema.“

„Du unbequemer Quälgeist. Möchtest Du noch einen Kaffee?“ – „Nein Danke, aber ich komme morgen wieder und bin neugierig, wie weit Du gekommen bist. Vielleicht bringt mich Deine Antwort ja selbst auch ein Stück weiter.“