Jens ist ein guter Kunde. Er schätzt meine unkonventionelle Sicht der Dinge und lässt sich gerne von mir beraten. Heute spricht er mich auf Marketing an. „Marketing“, sage ich, „Marketing folgt den Mustern von Werbung, und die sitzen ganz tief in unserem Gehirn. Wie ich mal hörte, spricht man vom Reptiliengehirn, weil es so alt ist.“
„Ja, ja“, sagt Jens, „sehr interessant – worauf willst Du hinaus?“
„Katzenvideo.“
Ich habe es mit diesem einen Wort auf den Punkt gebracht. Jens ist irritiert, weil die von ihm geforderte Kurzfassung nun selbst für ihn ein wenig zu kompakt ausgefallen ist.
„Vielleicht hätte ich auch ‚42‘ sagen können, es geht darum, die Frage konkreter zu stellen, sonst gibt es keine verwertbare Antwort. Was ist für Dich Marketing?“
Während er erläutert, was er darunter versteht, überlege ich, wie ich ihn auf seinem Weg zur Beantwortung seiner eigenen Frage begleiten kann. Ich werde ihm keine fertige Antwort präsentieren, für oberflächlich passende Empfehlungen wird er vorher schon seine Fachleute interviewt haben. Die für ihn brauchbarste Lösung muss aus ihm selbst heraus kommen.
„Ausgesprochen viele Menschen lieben Katzenvideos. Damit ist erst mal die Tür geöffnet. Was mag es sein, dass diese Filmchen uns so ansprechen, so sympathisch erscheinen. Niedlich. Kindchenschema?“
Jens überlegt und mäkelt herum, dass es nicht um die Vermarktung von Kuscheldecken geht. Er will seinen Technikkram am Markt platzieren und da helfen keine Katzenvideos.
„Jens, ich erwarte Mitdenken. Du sollst kein Katzenvideo produzieren, Du sollst Dir Gedanken machen, was tief in jedem Menschen Deiner Zielgruppe verankert ist. In der Kunst kennt man den goldenen Schnitt, ein Verhältnis von Proportionen, die uns unbewusst harmonisch und damit positiv erscheinen. Was ist der goldene Schnitt in Deinem Produkt, will sagen: welche Eigenschaften stehen in einem wahrnehmbar harmonischen Verhältnis zueinander?“
„Das ist mir jetzt alles zu abstrakt, ich will wissen, wie ich meine Artikel besser verkaufen kann. Du sollst einfach nur diese simple Frage beantworten.“
„Obacht!“, sage ich, „genau da liegt Dein Denkfehler. Die Frage ist zwar simpel, aber die Antwort ist vielschichtig und kann deshalb nicht von einem Experten alleine beantwortet werden. Aber Du, Du kennst Dein Produkt wie kein anderer, also kannst Du es in all seiner Leistung oder vielleicht sogar Schönheit beschreiben. Das ist der Ausgangspunkt, den Du für Dich erst klären musst. Dann die Proportionen erkennen, hiervon herausarbeiten, was im Reptiliengehirn Deiner Zielgruppe vorgeht und erst dann – nicht vorher – solltest Du Deine Vertriebler sukzessive einweihen und ihren Job tun lassen.“
„Das war zwar leider nicht die Antwort, die ich hören wollte“, grummelt er immer noch, „aber wenn ich mir noch mal strukturiert aufschreibe, was Du in welcher Abfolge von mir wissen willst, ist der Ansatz vielleicht gar nicht so schlecht.“
„Ja, ganz genau. Die Kernfragen zu beantworten kostet Deine kostbare Zeit, aber es ist ein Vorgang, den Du nicht delegieren kannst. Das ist ein Jens-Thema.“
„Du unbequemer Quälgeist. Möchtest Du noch einen Kaffee?“ – „Nein Danke, aber ich komme morgen wieder und bin neugierig, wie weit Du gekommen bist. Vielleicht bringt mich Deine Antwort ja selbst auch ein Stück weiter.“
Wieder einmal AUßERORDENTLICH!
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