Mittwoch, 25. Januar 2023

Wir spüren nur Veränderung

Menschen sind wundervoll komplexe Systeme. Komplexität steckt im Körper, der Gesundheit, dem Zusammenspiel der Organe. Aber auch in unserem Denken, der Kommunikation, der Verarbeitung von Erfahrungen und der Erziehung. Nicht zu vergessen die Wechselwirkung mit unserem sozialen Umfeld, den Mitmenschen und dem individuellen Ökosystem.

Was sich aber durchzieht, ist, dass wir ausschließlich Veränderungen wahrnehmen können. Gesundheit erkennen wir erst, wenn wir auf einmal mit Kopfschmerzen aufwachen. Ebenso erscheint uns das reibungslose Zusammenspiel unserer Organe eine Selbstverständlichkeit, die wir erst bei Fehlfunktionen in Frage stellen. Doch auch das Erleben schöner Momente ist irgendwann langweilig, muss der romantische Sonnenuntergang noch durch den Genuss von Sekt gesteigert werden, bis auch das wieder langweilig wird. Die Freude über eine Gehaltserhöhung ist nach einiger Zeit verpufft, es stellt sich die Gewöhnung an die neue Vergütung ein.

Wir spüren nur Veränderung
Auch die Sensoren unseres Körpers sind entsprechend gebaut. Fühle ich beim Hinsetzen noch die Polsterung, geht diese Wahrnehmung nach kurzer Zeit verloren. Genauso ist auch beim Streicheln gegenüber bloßer Berührung der Antritt durch dauernde Veränderung die Übertragung des Gefühlten nicht einschlafen zu lassen.

Soweit also die Faktensammlung. Was bedeutet das für das tägliche Leben: Ich möchte ein paar Beispiele nennen. Da wir Geschwindigkeit nicht fühlen können, brauchen wir beim Autofahren einen Geschwindigkeitsmesser. Als Autos noch über die Straße hoppelten und der Auspuff dröhnte, konnten wir uns hilfsweise auf die Stöße im Gesäß und die Geräusche in den Ohren verlassen, um die Geschwindigkeit zu schätzen. In komfortablen Vehikeln mit schnurrendem Motor auf glatten Autobahnen scheinen uns auch 180 Stundenkilometer (fünfzig Meter pro Sekunde (!)) gerade mal wie schnelles Marschieren. Fatal nur, dass es der Physik egal ist, wie wir diese Geschwindigkeit empfinden, trotz aller technischer Raffinesse hängt der Bremsweg immer noch quadratisch von der Geschwindigkeit ab.

Mein zweites Beispiel kommt aus der zwischenmenschlichen Ecke. Wir gewöhnen uns an unsere Mitmenschen, insbesondere an unsere Partner. Schlechte Eigenschaften gehen uns im Laufe der Zeit immer mehr auf die Nerven und die guten Eigenschaften werden zunehmend zur Selbstverständlichkeit. Hier müssen wir agieren wie die Hühner, die stillstehende Bilder nicht sehen können und deshalb aktiv den Kopf (und damit die Augen) bewegen müssen, um sozusagen künstlich Bewegtbilder zu erzeugen. Immer wieder die innere Perspektive zu wechseln und damit das Umfeld in der Wahrnehmung in Bewegung zu halten ist nicht nur aufregend, sondern sogar notwendig.

Drittens noch ein Beispiel in Richtung Philosophie. Gleicht ein Tag dem vorherigen, dann nehmen wir unser Leben überhaupt nicht mehr wahr, es tritt eine Leere ein, Eintönigkeit, ein Verlangen nach Abwechslung. Diesem Impuls folgend reicht es aber nicht, ihn durch temporäre äußere Reize wie Belustigung, Party, Reise zu befriedigen. Es ist notwendig, das Leben mit Leben zu füllen, also Neues zu schaffen und damit auch innere Veränderung (Entwicklung) zu erreichen.

Was hatte ich eingangs geschrieben: Alles in uns ist auf Veränderung programmiert, einschließlich der in uns verbauten Sensoren. Mit dieser Hard- und Software ist es also unumgänglich erforderlich, dass wir uns stetig verändern (mit der Zielsetzung der Verbesserung) – Stillstand ist Rückschritt.

Mittwoch, 18. Januar 2023

Aber das kann ich doch gar nicht (2)

Kaum hat ein Mitarbeiter das gemacht, was er kann - nämlich gute Ideen zu entwickeln – muss er etwas machen, was er nicht kann – nämlich diese Ideen in die Tat umsetzen.

In zahllosen Persönlichkeitsmodellen werden Menschen bestimmten Kategorien zugeordnet. Da gibt es zum Beispiel die chaotischen Kreativen, die Planer und Projektleiter, die akribischen Qualitätssicherer, nicht zu vergessen die Vertriebler.

In diesem Zusammenhang gefällt mir insbesondere das Teammodell von Belbin, denn er betont, dass richtig gute Ergebnisse nur bei Kombination dieser verschiedenen Typen erreicht werden können. In den seltensten Fällen ist eine Persönlichkeit ausschließlich einer Kategorie zuzuordnen, vielmehr hat man es oft mit Kombinationen zu tun, beispielsweise ein Projektleiter mit Vertriebsqualitäten. Was aber eigentlich nie vorkommt ist die Abdeckung aller Facetten. 

Aber das kann ich doch gar nicht Teil 2

Hierzu werfe ich einen Blick auf das Bild von der Glühbirnen-Leuchte. Damit hier etwas leuchtet braucht man

(1) Strom und Stecker (sind da Standards zu berücksichtigen?)

(2) Eine Glühbirne (kann man die fertig kaufen oder muss man sie bauen?)

(3) Eine Fassung (marktgängig, aber für dieses Objekt anzupassen)

(4) Feinmechanik (wer sorgt für die technische Zeichnung, wo bekommt man die Bauteile?)

(5) Elektrokabel (marktgängig, wer sorgt für den Anschluss und die Prüfung?)

(6) Ein Zielbild und eine Gesamtplanung

Schon bei diesem simplen Beispiel wird klar, dass hier verschiedene Disziplinen zusammenarbeiten müssen. Häufig sehe ich höchst einfallsreiche Objekte, die von einem Designer entworfen, aber vom beauftragen Handwerker schlampig umgesetzt wurden. Bei unserem Glühmännchen könnten die Beine durch unprofessionelle Isolierung der Elektroleitung unter Strom geraten. Oder die Glühbirne in ihrer Fassung die Elektrik überhitzen.

Aus dieser Erkenntnis ergibt sich zwangsläufig, dass man kreative Menschen nicht a priori zur Umsetzung ihrer Einfälle einsetzen kann. Entweder gelingt ihnen die Umsetzung nicht, weil sie sich damit schlicht nicht auskennen, oder sie leben die Umsetzung kreativ aus, was in einem geordneten Betrieb ziemlich leicht zu Durcheinander führt.

Warum, so frage ich mich, wird diese praxisferne Kombination erwartet? Im täglichen Leben wird doch kein Handybenutzer gezwungen, technische Anforderungen zu formulieren, nur weil er vorschlägt, den Routenplaner mit dem Adressbuch zu kombinieren.

Die Lösung liegt darin, die Einfallsreichen (ohne Umsetzungskompetenz) mit den Einfallslosen (mit Umsetzungskompetenz) zusammen zu bringen. Wobei man – ganz im Sinne von Belbin – betonen muss, dass der eine nicht besser ist als der andere, aber ohne die jeweilige Gegenseite nicht wirklich erfolgversprechend agieren kann.

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Mittwoch, 11. Januar 2023

Corona, Autofahrt und Börse

Corona, Autofahrt und Börse
Wir geraten immer wieder an unsere Grenzen, wenn wir einen der uralten Menschheitsträume zu verwirklichen versuchen: In die Zukunft schauen. Egal, was manche Auguren sagen, unabhängig davon, was uns gewisse Analysten zu glauben empfehlen, einerlei, was der nette Vertriebler wortreich erläutert: Eine Vorhersage der Zukunft ist ausgeschlossen.

Nun, das ist keine spektakuläre Erkenntnis, wenn wir sie denn nur beherzigen würden. Aber wir Menschen meinen, dass diese Einschränkung nicht immer oder nicht für jeden gilt (was aber in der Praxis der Fall ist). Ich möchte das an ein paar Beispielen erläutern.

(1) Corona
Voller Inbrunst habe ich täglich die aktuellen Incidentszahlen betrachtet und mich gefragt, wann das Leben sich wieder normalisiert. Im Verlauf ließen sich gewisse Regelmäßigkeiten erkennen, man konnte typische Verlaufskurven darauf modellieren. Aber die Einflüsse von Impfungen, Mutationen und Importen ergaben dann jeweils doch wieder unerwartete Veränderungen. Aus den (historischen) Zahlen konnte ich partout nicht auf die zukünftige Entwicklung schließen.

(2) Autofahrt
Auf dem Verkehrsübungsplatz habe ich mein Auto mal nur nach dem Rückspiegel gesteuert. Wenn ich langsam genug gefahren bin und sehr genau kontrolliert habe, konnte ich damit nicht nur geradeaus, sondern auch um Kurven lenken. Wenn ich im Rückblick dem Mittelstreifen näher kam, war die Straße offensichtlich gebogen und ein Nachlenken nach rechts erforderlich. Sah ich hingegen eine Annäherung an den Fahrbahnrand, so musste ich das Steuer nach links drehen. Das hatte aber seine Grenzen, wenn die Kurve so eng war, dass ich nicht schnell genug reagieren konnte oder wenn zum Beispiel ein Hindernis (vor mir) auftauchte.

(3) Börsenkurse
Es ist geradezu drollig, wenn Analysten Aktiencharts mit Linien vollmalen. Da gibt es dann Unterstützungslinien und Widerstandslinien, Seitwärtsbewegungen und weitere Beschreibungen des bisherigen Verlaufs. Dumm nur, dass sich der zukünftige Verlauf nicht nach diesen Linien richtet und es am Markt oft wichtiger ist, welche politischen Randbedingungen, Quartalsergebnisse des Mitbewerbers oder Nachrichten es gibt. 

(4) Unternehmensführung
Auf der Basis vorhandener (historischer) Zahlen zu Umsätzen, Deckungsbeiträgen etc. wird meist auch die Ausrichtung und Entwicklung von Unternehmen gesteuert. Was etwa dem Fall von der Autofahrt mit Rückspiegel entspricht. Sobald der Markt volatil wird (Auto: enge Kurven) ist das aber kein brauchbarer Ansatz mehr. Von plötzlichen Veränderungen (Auto: Hinternis, „Disruptionen“) ganz zu schweigen. 

Ein Blick in die zukünftige Entwicklung der Zahlen ist grundsätzlich nicht möglich, das hatte ich ja in der Einleitung geschrieben. Auch eine verlässliche Vorhersage über Markttrends (z. B. Mode) ist kaum zu bekommen. Aber immerhin können wir den Markt beobachten, selbst unscheinbare Änderungen der Kundenerwartungen ernst nehmen und uns darauf gefasst machen, dass auch nach langer Zeit der „Geradeausfahrt“ unvermittelt Brems- und Ausweichmanöver notwendig sein können.

Mittwoch, 4. Januar 2023

Das Trägheitsmoment in der Führung

In Physik hatten wir in einer Experimentalstunde so kleine Kugeln auf dem Tisch, die haben wir über eine schiefe Ebene rollen lassen und die Zeit gemessen. Und in einem zweiten Experiment mussten wir die Kugeln an einem Magneten vorbeirollen und je nach Magnetstärke den Ablenkwinkel notieren. In beiden Fällen hatten die Bewegung und ihre Veränderung etwas mit einer äußeren Krafteinwirkung (Erdanziehung bzw. Magnet) zu tun.

Daran dachte ich dieser Tage, als ich bei Gaby im Sportkurs war. Zum Aufwärmen hatte sie jeden von uns mit einem Gymnastikball versehen und wir sollten ihn durch den Raum rollen lassen, dabei aber jeden Zusammenprall vermeiden. Entsprechend musste man hinter dem Ball herlaufen und ihn dauernd anstoßen, in seiner Richtung beeinflussen, mal um einem entgegenkommenden Ball auszuweichen, mal um zu verhindern, dass er gegen die Wand stieß. Ein anstrengendes Unterfangen und nach wenigen Minuten waren wir außer Atem.

Trägheitsmoment der Führung

Heute fielen mir im Zusammenhang mit dem Muskelkater aus Gabys Kurs wieder das Aufwärmtraining und meine Assoziation zum Physikunterricht ein. Und ableitend wurde mir klar, dass ich den Ball oder seinerzeit die kleinen Stahlkugeln geführt hatte. Von alleine hatten sie sich ihren Weg gesucht, dafür hatte ich keinerlei Aufwand betreiben müssen. Im Schulunterricht hätte ich die Kugeln auf dem ebenen Labortisch rollen lassen können, bei Gaby einfach nur quer durch den Sportraum. Aber ich wollte auf die Trägheit der (geradlinig-gleichförmigen) Bewegung Einfluss nehmen, und dafür brauchte ich in beiden Fällen Kraft.

Nicht im physikalischen, aber im intellektuellen oder emotionalen Sinne finden wir dieses Trägheitsmoment der Bewegung auch in der Führung wieder. Einen Mitmenschen zu führen erfordert Kraft, unterschiedlich viel und unterschiedlich oft, aber sobald wir seinen Weg, seine Aktionen oder seine Ziele beeinflussen wollen geht dies nicht ohne Krafteinwirkung.

Wie stark die Wirkung bzw. wie gering die notwendige Kraft ist, hängt dabei zum einen vom gewünschten Kurswechsel und zum anderen von der inhärenten Trägheit (in der Physik: Masse) ab. Und spätestens an diesem Punkt wird es spannend, denn auch hier können wir bei der Physik abschauen. Ergänzen wir unsere Überlegungen nämlich noch mit der Massenanziehung, dann genügt es, ausgewählte Körper in ihrer Route zu ändern, sie ziehen andere Körper (mit geringerer Masse, das heißt geringerer Trägheit) mit in Richtung der neuen Bahn. Strategiewechsel müssen nicht jedem einzelnen Mitarbeiter nahegebracht werden, sind aber unbedingt den Leitfiguren (das sind die Drahtzieher, nicht unbedingt die hierarchischen Führungskräfte) zu vermitteln.

Anders ausgedrückt reicht es, sich auf die Rädelsführer zu konzentrieren, die sorgen für das Abholen der Mitläufer. Womit klar wird, dass es eklatant wichtig ist, diese tatsächlichen Meinungsbildner zu identifizieren und (unter „Krafteinsatz“) mitzunehmen - der Rest erledigt sich dann sozusagen von alleine.

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