Wir geraten immer wieder an unsere Grenzen, wenn wir einen der uralten Menschheitsträume zu verwirklichen versuchen: In die Zukunft schauen. Egal, was manche Auguren sagen, unabhängig davon, was uns gewisse Analysten zu glauben empfehlen, einerlei, was der nette Vertriebler wortreich erläutert: Eine Vorhersage der Zukunft ist ausgeschlossen.
Nun, das ist keine spektakuläre Erkenntnis, wenn wir sie denn nur beherzigen würden. Aber wir Menschen meinen, dass diese Einschränkung nicht immer oder nicht für jeden gilt (was aber in der Praxis der Fall ist). Ich möchte das an ein paar Beispielen erläutern.
(1) Corona
Voller Inbrunst habe ich täglich die aktuellen Incidentszahlen betrachtet und mich gefragt, wann das Leben sich wieder normalisiert. Im Verlauf ließen sich gewisse Regelmäßigkeiten erkennen, man konnte typische Verlaufskurven darauf modellieren. Aber die Einflüsse von Impfungen, Mutationen und Importen ergaben dann jeweils doch wieder unerwartete Veränderungen. Aus den (historischen) Zahlen konnte ich partout nicht auf die zukünftige Entwicklung schließen.
(2) Autofahrt
Auf dem Verkehrsübungsplatz habe ich mein Auto mal nur nach dem Rückspiegel gesteuert. Wenn ich langsam genug gefahren bin und sehr genau kontrolliert habe, konnte ich damit nicht nur geradeaus, sondern auch um Kurven lenken. Wenn ich im Rückblick dem Mittelstreifen näher kam, war die Straße offensichtlich gebogen und ein Nachlenken nach rechts erforderlich. Sah ich hingegen eine Annäherung an den Fahrbahnrand, so musste ich das Steuer nach links drehen. Das hatte aber seine Grenzen, wenn die Kurve so eng war, dass ich nicht schnell genug reagieren konnte oder wenn zum Beispiel ein Hindernis (vor mir) auftauchte.
(3) Börsenkurse
Es ist geradezu drollig, wenn Analysten Aktiencharts mit Linien vollmalen. Da gibt es dann Unterstützungslinien und Widerstandslinien, Seitwärtsbewegungen und weitere Beschreibungen des bisherigen Verlaufs. Dumm nur, dass sich der zukünftige Verlauf nicht nach diesen Linien richtet und es am Markt oft wichtiger ist, welche politischen Randbedingungen, Quartalsergebnisse des Mitbewerbers oder Nachrichten es gibt.
(4) Unternehmensführung
Auf der Basis vorhandener (historischer) Zahlen zu Umsätzen, Deckungsbeiträgen etc. wird meist auch die Ausrichtung und Entwicklung von Unternehmen gesteuert. Was etwa dem Fall von der Autofahrt mit Rückspiegel entspricht. Sobald der Markt volatil wird (Auto: enge Kurven) ist das aber kein brauchbarer Ansatz mehr. Von plötzlichen Veränderungen (Auto: Hinternis, „Disruptionen“) ganz zu schweigen.
Ein Blick in die zukünftige Entwicklung der Zahlen ist grundsätzlich nicht möglich, das hatte ich ja in der Einleitung geschrieben. Auch eine verlässliche Vorhersage über Markttrends (z. B. Mode) ist kaum zu bekommen. Aber immerhin können wir den Markt beobachten, selbst unscheinbare Änderungen der Kundenerwartungen ernst nehmen und uns darauf gefasst machen, dass auch nach langer Zeit der „Geradeausfahrt“ unvermittelt Brems- und Ausweichmanöver notwendig sein können.
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