Dienstag, 26. November 2024

Gleichgewichte allenthalben

Wir Physiker schauen bekanntlich gerne Äpfel an. Wenn sie da so am Baum hängen, sind sie in einem Gleichgewicht aus Erdanziehung und Haltekraft des Stils. Die Kräfte sind ausgeglichen, der Apfel schaukelt vielleicht ein wenig im Wind, hängt aber gut an seinem Zweig. Bis ein kräftiger Windstoß kommt, der Stil bereits ein wenig brüchig und schon löst sich die Frucht und fällt herunter. Auch in dieser Flugphase ist wieder ein Gleichgewicht zu beobachten, hier spielt die Erdanziehung eine Rolle, aber auch der Luftwiderstand.

Im nächsten Moment prallt das Obststück auf dem Boden auf, bleibt liegen und ist natürlich wieder im Gleichgewicht. Er würde ja weiterfallen, wenn da nicht die Wiese im Weg wäre. So bleibt er ein paar Meter unter seinem bis gerade noch etablierten Hängeort liegen und verrottet langsam.

Alles in der Natur ist austariert, man kann Kräfte bestimmen, die auf ein Objekt einwirken und erhält ein Ergebnis, das alle Einflüsse berücksichtigt. Das gilt selbstredend nicht nur für die Kinematik, sondern auch für chemische Prozesse oder gar soziologische Phänomene. Beim Betrachten von Nahrungsketten begegnen wir der Einstellung von Gleichgewichten genauso wie bei der Populationsentwicklung. Gibt es von einer Sorte zu viele in einem bestimmten Raum, wird entweder die Nahrung knapp oder es werden Mindestabstände unterschritten, was zu Konflikten, Vertreibungen oder Ermordungen führt.

Gleichgewichte allenthalben
Dabei ist unbedingt zu betonen, dass sich die Gleichgewichte immer (meist sogar ziemlich schnell) und bestmöglich einstellen. Im mathematischen Sinne folgen sie einem Gradienten und finden den kürzesten Weg, um einen neuen Gleichgewichtszustand zu erreichen. Dies ganz ohne Wertung und absolut emotionslos. Es mag uns verstören, wenn wir die Veränderungen des Erdklimas beobachten, aber es ist die unbarmherzige Reaktion der Natur auf die Aktionen der Menschen.

Gleichgewichte sind a priori weder gut noch schlecht, auch die Erderwärmung ist zunächst neutral nur die Änderung einer Messgröße. Schlecht wird diese Entwicklung erst durch unsere Bewertung, die in den meisten Fällen - das möchte ich herausarbeiten - aus unserer persönlichen oder gesellschaftlichen, jedenfalls aber menschlichen Perspektive heraus erfolgt. Etwas naiv könnte man die Klimaveränderung sogar als wünschenswerte Verbesserung feiern, endlich kein Schnee mehr im Winter, statt dessen Sonne satt für alle Liebhaber dünner Kleidung.

Setzt sich die Entwicklung fort, müssen wir halt unser Leben daran anpassen, darin ist der homo sapiens ja geübt. Und wieder stellt sich ein Gleichgewicht ein, vielleicht wird auch unser Körper im Laufe der nächsten Generationen hitzeresistent, bekommen wir keinen Sonnenbrand oder Hautkrebs mehr. Und wenn uns das nicht gelingt, dann kennt die Natur kein Pardon und die Menschheit stirbt aus. Sicher nicht das, was wir wollen, aber aus etwas allgemeinerer Sicht eine ganz normale Gleichgewichtsreaktion. Die übrigens schon ganz viele Pflanzen- und Tierarten erlebt haben. Nur wir wollen es nicht wahrhaben, dass für uns dieselben Gesetze gelten wie für andere Spezies.

Abschließend noch die Anregung, auch den Umgang miteinander, Bevölkerungen oder Gemeinschaften als Systeme zu verstehen, die einen gewissen stabilen Zustand haben, ein Gleichgewicht eben. Was nicht bedeuten muss, dass eingependelte Zustände nicht wieder in Bewegung kommen können, wie das Bild vom bei Wind herabfallenden Apfel verdeutlicht.

[Weitere Blogs: Dienstliche GlossenFeingeistiges] 

Mittwoch, 20. November 2024

Von Zauberern, Entertainern und Politikern

Auf den großen Bühnen dieser Welt stehen Frauen und Männer, die ihren Zuschauern etwas präsentieren. Ob sie nun ein Lied singen, große Reden schwingen oder etwas Artistisches vorführen - in jedem Fall kommt man zur Unterhaltung. Vielleicht ist es ein Zeitvertreib, eine Anregung oder das Staunen über irgendeine Leistung – jedenfalls sind wir im Normalfall freiwillig dort und lassen die Darbietung auf uns wirken.

Zauberer, Entertainer, Politiker

Dabei kann man diese Veranstaltung grundsätzlich in Zauberei und Entertainment unterteilen. Bei der reinen Unterhaltung ist alles offensichtlich, da ist kein Trick dabei, alles ist so zu verstehen, wie man es sieht. Ein Orchester arbeitet sich durch die Partitur, die entstehende Musik ist handgemachter Klang nach bestimmten Regeln und Vorgaben. Keine Überraschung, kein Hinterfragen der Entstehung. Nur wer es ganz genau nimmt, kann sich mit Musiktheorie oder gar der Physik der Tonerzeugung beschäftigen.

Ganz anders bei der Zauberei: Hier sehen und erleben wir etwas, was der Erfahrungswelt widerspricht. Ein Gegenstand verschwindet, ein anderer taucht unvermittelt auf, Waffen scheinen keine Verletzungen hervorzurufen. Doch das alles ist natürlich nicht echt, es gibt Tricks, mit denen der vermeintliche Magier uns nur vorgaukelt, dass so seltsame Sachen passieren. Im Kern funktioniert fast jeder Zaubertrick so, dass der Zuschauer abgelenkt ist und irgendetwas beobachtet, während an anderer Stelle etwas passiert. Man kann das zur Kenntnis nehmen und unter gelungener Illusion ablegen oder sich Gedanken machen, wie der Zauberer das wohl angestellt hat. Und ihn vielleicht sogar vor dem Publikum mit der Enthüllung seiner geheimen Vorgehensweise konfrontieren.

Da denke ich an Politiker: Die eine Fraktion handelt im Verborgenen, die Wähler werden abgelenkt, wir nehmen nur den Ausschnitt wahr, den die politischen Zauberer uns vermitteln wollen. Das läuft irgendwo zwischen unvermeidlicher Hintergrundarbeit, mangelhafter Kommunikation und Klüngelei. Kommt so ein Aspekt entgegen der Planung ans Tageslicht, wird es meist peinlich für die Akteure. Wir haben ihren Zaubertrick enttarnt, zeigen, wie das Kaninchen in den Hut kam oder wieso eine Entscheidung abweichend von einer Mehrheitsmeinung getroffen wurde.

Öffentliche Debatten entstehen, Rücktritte werden gefordert, Entrüstung über das unerhörte Vorgehen. Einem amerikanischen Präsidenten, der Sex mit einer Praktikantin hatte, wurde dies in der lautstark geführten Debatte fast zum Verhängnis. Zwar war der gerichtliche Aspekt sein Meineid, aber dass es überhaupt zu diesem Wellengang kam lag an der Heimlichkeit der Aktion und der moralischen Erwartung, dass ein Präsident so etwas einfach nicht macht. Im Sinne der VIP-Menschen: Die Enttarnung eines Zauberers.

Ganz anders der Antritt von Donald Trump. Als ehemaliger Entertainer versucht er gar nicht, Dinge zu verbergen. Dass er mit einer Pornodarstellerin verkehrt und dafür Schweigegeld zahlt, ist allgemein bekannt. Zu keinem Zeitpunkt streitet er das ab, agiert ganz offen und stopft seinen Kritikern mit dem Hinweis auf Privatangelegenheiten und Best-Practice den Mund. Ein Entertainer eben, er unterhält die Wähler und setzt (zumindest an dieser Stelle) nicht auf Täuschung.

An diesen beiden Beispielen kann man zum einen die unterschiedlichen Typen erkennen, auch die aus vermeintlichen Verfehlungen abgeleiteten Reaktionen springen ins Auge. Erfolgreicher und ohne Angst vor Entdeckung und Shitstorm leben die Personen, die sich als Entertainer outen. Getreu dem Motto: Du bekommst was du siehst. Und wenn ich es mir anders überlege, bekommst du etwas anderes. Aber nichts passiert hinter deinem Rücken. Wer andererseits heimlich im Sinne eines Zauberers agiert, muss fortwährend mit Entdeckung und unangenehmem Zur-Rede-stellen rechnen. Und nicht zuletzt die Frage beantworten, warum er es nicht gleich gesagt hat.

Mittwoch, 13. November 2024

Herbstzeit - Recyclingzeit

Es ist Herbst geworden, kühl, neblig, feucht ist es draußen und ich nutze die kurze Zeit zwischen Feierabend und Einbruch der Dunkelheit, um den Bürgersteig vom Laub zu befreien. Die große Eiche hat reichlich Blätter abgeworfen, aber auch vom Kirschbaum und von den Hortensien sind ziemlich viele Blätter bis hierher geweht.

Die Natur kommt zur Ruhe, aus den Blättern werden die brauchbaren Inhaltsstoffe herausgeholt, dann abgeworfen. Langsam vertrocknend liegen sie auf der Straße und zerfallen bei Regen nach und nach zu Kompost. Im Garten bilden sie Laubhaufen und geben damit allerlei Kleinlebewesen bis hin zu Igeln eine schützende Möglichkeit zum Überwintern.

Beruhigend: Die Natur hat sich mal wieder ganz schön was einfallen lassen, damit auch das nicht mehr benötigte Blattwerk eine nützliche Funktion hat. Und wenn schon keine Aufgabe (Überwinterung) mehr wartet, dann wird eben ein neues Produkt (Kompost) daraus.

Herbstzeit - Recyclingzeit

Da sprechen wir in der Technik von Nachhaltigkeit, aber von dieser einfallsreichen Weiter- und Wiederbenutzung sind wir noch weit entfernt. Oft ist der Aufwand viel zu hoch, als dass sich ein Recycling oder Upcycling lohnen würde. Im Grunde kommt uns in die Quere, dass wir erst mal produzieren und erst in einem viel späteren Schritt darüber nachdenken, was wir mit dem gebrauchten Produkt anfangen könnten.

In jedes im Frühling entstehende Blatt ist schon der Keim für das Recycling gelegt. Selbst wenn es in der nächsten Saison zunächst als Igelhaufen Verwendung findet, ist es am Ende seiner Lebenszeit jedenfalls die Basis für die Entstehung von Erdreich.

Können wir bei der Herstellung eines Autos schon sagen, was nach einigen tausend Kilometern auf der Straße mal daraus wird? Oder auch nur bei einfachen Produkten in den Entstehungsprozess das Nachfolgeprodukt einplanen?

Da ist noch viel Platz für einfallsreiche Designer, Ingenieure, Wissenschaftler. Mit dem Einpreisen für die Entsorgung können wir auf Dauer nicht leben, es sei denn, wir investieren dieses Geld nicht in Müllverbrennung, sondern in Forschung für die Vervollständigung des Produktlebenszyklus. 

Heute schon an morgen denken heißt hier: Bei der Herstellung schon die Weiterverwendung einplanen. Und zwar vollständig, das heißt Berücksichtigung der Produkte, deren Zerlegung, Aufarbeitung, die hierfür notwendige Technik, Energie und entsprechende Ressourcen.

Mittwoch, 6. November 2024

Einkaufen oder Wählen

Ich stehe vor dem Verkaufsregal im Supermarkt. Auf den Einkaufszettel hat mir meine Frau noch „Vollwaschmittel“ aufgeschrieben, ein Produkt, das ich eher selten mitbringe. Also, mal sehen, was es im Angebot gibt. Auf Augenhöhe Artikel der bekannten Marken in verschiedenen Größen, weiter oben die Hausmarke und ganz unten irgendwelche White-Label-Waschmittel.

Aber nicht nur die Marke, auch die Frage nach Pulver oder Flüssigkeit beschäftigt mich. Was steht denn immer bei uns in der Waschküche? Was habe ich an Allgemeinwissen noch über Waschmittel im Hinterkopf und wie gut kann ich auf meine eigenen Erfahrungen aus der Studentenzeit zurückgreifen?

Ich drehe die Flaschen und Kartons um, lese, was auf der Rückseite steht und versuche meine Auswahl daran zu orientieren. Kombiniere mit Werbetexten, Aussagen von Freunden und Testberichten, die ich vor einiger Zeit mal in einem Magazin gelesen habe.

Und dann ist sie da, die Entscheidung. Ich nehme einfach das Teuerste. Da kann ich nicht viel falsch machen und muss mir hinterher keine fehlplatzierte Sparsamkeit vorwerfen lassen. Ich hebe das ausgewählte Flüssigwaschpulver in den Einkaufswagen und fahre gutgelaunt weiter.

Schaut man in ein paar Monaten in die Verkaufsstatistik wird man deutliche Trends feststellen. Flasche A wurde oft gekauft, Waschpulver B viel weniger, obwohl es in den Inhaltsstoffen sehr ähnlich und obendrein vegan ist.

Was ist da schiefgelaufen? Waren die Käufer einfach zu dumm oder uninformiert, war die Verpackung hübscher, die Werbung besser, oder ist tatsächlich eine Flüssigkeit gegenüber einem Pulver vorzuziehen? Umfragen könnten ein wenig Licht hineinbringen und für den zukünftigen Verkauf Änderungen empfehlen.

Einkaufen oder Wählen

Was, das erinnert an politische Wahlen, zum Beispiel in den USA? Gewiss, es gibt nur zwei „Produkte“ zur Auswahl, aber das Abwägen ist ähnlich. Denn auch in der Politik ist nicht unbedingt klar, was letztendlich zur Wahl des einen oder anderen Kandidaten geführt hat.

Jedenfalls spielen neben den „Inhaltsstoffen“ noch eine Reihe weiterer Faktoren eine ent-scheidende Rolle. Welche Meinung vertreten mir wichtige Zeitgenossen (Familie, Freunde, Influencer), was habe ich aus der Werbung mitgenommen, welche Erfahrungen habe ich bislang gemacht, welche Schwerpunkte setze ich?

Und so kommen beim Aufruf der Statistik (Auszählen der Stimmen) Ergebnisse heraus, die manche Kandidaten erfreut, andere entsetzt. Aber jeder Käufer bzw. Wähler hat nun mal einen eigenen Einkaufswagen, und mit welcher Auswahl er zur Kasse oder Wahlurne geht, ist seine Sache.

Er nimmt zwar mit seiner Stimme Einfluss auf das Ergebnis, aber er ist nicht „Schuld“. Vielmehr ist es Sache der Anbieter, möglichst viele Käufer bzw. Wähler „abzuholen“. Wem das besser gelingt, der hat gewonnen. Ganz wörtlich.