Freitag, 30. Oktober 2020

Ferdinand, oh Ferdinand

 Gerade habe ich bei meinem VW New Beetle das Birnchen für das Abblendlicht links ausgetauscht. Ich möchte dem Produzenten nicht zu nahe treten, aber wenn man für solch eine Aktion erst ein Video aus dem Internet anschauen muss, dann mit zwei verschiedenen Schraubendrehern, einer Wasserpumpenzange, einem Gummihammer und reichlich Kriechöl bewaffnet zum Erfolg kommt… dann stimmt doch irgendwas nicht.
Und das ausgerechnet bei einem Nachfahren des legendären VW Käfer, der vor mehr als 80 Jahren von Ferdinand Porsche entworfen wurde – ein Fahrzeug, dass 65 Jahre produziert wurde, in zahlreichen Varianten hergestellt, von Kunden zu allerlei Spezialeinsätzen umgebaut wurde und in allen Facetten des gesellschaftlichen Lebens präsent war.

Einzigartig aber nicht nur seine Erfolgsgeschichte. Meine Faszination geht auf die Genialität seiner Konstruktion zurück – ein paar Beispiele:
  • Die selbsttragende Bodenplatte mit Motor, Getriebe und Fahrgestellt würde man heute (wieder) als Plattformstrategie bezeichnen. Auf diese Bodenplatte konnte man ohne statische Probleme andere Chassis mit anderem Aussehen oder Verwendungszweck aufsetzen.
  • Bei der Auswahl der verbauten Teile orientierten sich die Ingenieure an leicht verfügbarem Material, wegen der damaligen Möglichkeiten im Schwerpunkt am Fahrradmarkt.
  • Spezialwerkzeug war nicht notwendig, praktisch alle Arbeiten am Fahrzeug waren mit gängigen Schlüsseln und Drehern aus der Landwirtschaft zu erledigen.
  • Auch typischer KFZ-Bedarf orientierte sich an der Versorgungslage. Luftfilter aus Papier waren schwierig zu besorgen, also wich man auf Öl-Luftfilter aus.
  • Die Baugruppen waren miteinander verschraubt, so dass ein Austausch jedes Teiles relativ leicht möglich war.
  • Es gab nur bei absoluter Notwendigkeit unterschiedliche Schraubenformate.
  • Alle Verschleißteile waren gut erreichbar. Selbst den Ausbau des Motors konnte man ohne Hebebühne oder Grube in weniger als einer Stunde erledigen.
  • Der Luftdruck des Reservereifens setzte gleichzeitig das Scheibenwischwasser unter Druck, auf eine separate Pumpe konnte verzichtet werden.
  • Durch die Luftkühlung war kein reparaturanfälliger Wasserkreislauf notwendig.

Unter dem Strich entstand so ein robustes und legendär langlebiges Fahrzeug, preiswert in der Herstellung und in der Wartung.

An vielen Stellen haben wir heute einen viel höheren Standard erreicht, über Aspekte wie derzeit erwarteten Komfort und Sicherheit brauchen wir nicht zu sprechen.

Aber die Einfachheit, die konsequente und vorausschauende Berücksichtigung von praktischen Aspekten und unausgesprochenen Kundenanforderungen ist leider unerreicht. Langsam und zaghaft werden hier und da von den Herstellern die alten Tugenden wiederentdeckt, mal sind die Innenverkleidungen mit (haltbaren und auffindbaren) Klipsen befestigt, mal wurde bei der Erreichbarkeit von Verschleißteilen die Zugänglichkeit berücksichtigt. Bei der Variantenvielfalt von Auspuffanlagen zweifele ich allerdings am Verstand meiner Mitmenschen.

Wieso, frage ich mich, geht hier die Evolution rückwärts? Können wir uns dauernd hinter der steigenden Komplexität und dem angeblichen Marktdruck verstecken? Ich würde die vermeintlichen Kundenwünsche oder die Vorgaben der Designer nicht höher bewerten als die verborgenen Qualitäten einer gelungenen Konstruktion – siehe iPhone. Der Fortschritt muss ja durchaus nicht den bewährten Lösungen geopfert werden, er darf sie bloß nicht überheblich als altmodisch verwerfen.

Wir haben ganz sicher auch heute noch Menschen von der Genialität eines Ferdinand Porsche – sie zu erkennen, ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten zu nutzen ist die Herausforderung. Und dann können die Profis für Kundenpflege übernehmen und das Produkt an den Markt bringen.

Samstag, 24. Oktober 2020

Wo ist der Radfahrer?

Macht Sie das auch nervös, wenn Sie rechts abbiegen wollen und keinen Radfahrer sehen. Eben sind sie an ihm vorbeigefahren, irgendwo muss er doch sein. Weder im Außenspiegel noch durch die Seitenfenster können Sie ihn finden. Entweder ist er vorher schon abgebogen oder hat irgendwo angehalten. Oder er war nur von einem parkenden Auto verdeckt und schießt gleich rechts an mir vorbei. Wild gestikulierend, weil ich ihn beim Abbiegen fast überfahren hätte.

Projektarbeit kennt auch solche „Radfahrer“. Ich möchte den nächsten Arbeitsschritt durchführen und weiß auch, dass mir eine Sache dazwischen kommen kann - das ist sogar in der Planung berücksichtigt. Aber auf einmal scheint das potentielle Hindernis verschwunden zu sein. Unsichtbar. Ohne dass ich sicher sein kann, ob es wirklich nicht mehr existiert oder nur temporär für mich nicht in Erscheinung tritt. Befragung von Spezialisten führt nicht weiter, sie rätseln eher, um was ich mir Sorgen mache. Recherche und Heraussuchen von historischen Protokollen fördert bestenfalls einen damals gültigen Stand ans Licht. Ob dieser Fall in Zukunft überhaupt eintreten kann, ist fraglich.

Wenn es dann tatsächlich zum Problem kommt oder ich erkennen kann, dass ich es getrost nicht weiter beachten muss… dann ist der Radfahrer abgebogen oder hat angehalten, um in die Bäckerei zu gehen. Und ich kann mich entspannen.

Freitag, 16. Oktober 2020

Bodylotion für das Unternehmen

Cremen Sie gelegentlich auch Unternehmen ein? Also, ich nicht. Aber wenn ich es machen wollte, dann würde ich mich daran orientieren, was ich morgens nach dem Duschen so mache. Gemäß den unterschiedlichen Bedürfnissen meiner Haut nehme ich verschiedene Produkte. Für die Schienbeine eine Aloe-Vera-Aufbereitung, für den Rücken eine erfrischende Minz-Eukalyptus-Mischung und für Hals und Gesicht eine leichte Tagescreme. Ich möchte der Haut ein wenig bei ihrer schweren Arbeit helfen. Und was man über längere Zeit versäumt, das kann man nicht Hau-ruck nachholen (wenn es überhaupt zu regenerieren ist).
Beispielsweise schadet häufiges Sonnenbaden auf Dauer und dauerhaft der Haut. Das ist ja bekannt; ist die Haut erst mal kaputt, dann geht (fast) nichts mehr. 

In Analogie: Im Unternehmen ist die regelmäßige Unterstützung oder Justage der Strukturen und Prozesse an der einen oder anderen Stelle sehr empfehlenswert.
Zu allererst die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Wieviel Aufwand bedeutet die Maßnahme, welchen (hoffentlich) positiven Effekt kann ich erwarten, und ist es überhaupt notwendig. Lieber kleine Änderungen, aber immer mal wieder prüfen und bei Bedarf sofort behutsam gegensteuern. Hat sich erst mal ein Wasserkopf gebildet, sind bürokratische Monster entstanden oder haben sich die Prozesse verselbständigt, dann ist das Zurückführen ein mühsames Geschäft.

Zweitens: Ein Ansatz allein ist sicher nicht hilfreich – was in der einen Organisationseinheit genau richtig ist, kann in der anderen schon wieder behindernd wirken. Wie man von Mischhaut spricht, so wird man auch hier zubilligen, dass keine Abteilung der anderen gleicht. Das heißt aber auch, dass das Ergebnis einer Pilotierung (also das Ausprobieren in Abteilung A) eigentlich nie wirklich verallgemeinert werden kann (das „bewährte“ Verfahren geht in Abteilung B überhaupt nicht).

Schließlich: Es ist komplex. Die Wechselwirkung zwischen Creme und Haut kann man nur bedingt vorhersagen. Man beobachtet einfach wie die Reaktion ist. Und wählt dann eine andere Bodylotion, sprich: eine andere Optimierungsmaßnahme. Häufig beobachte ich, dass Probleme innerhalb eines Unternehmens von hier nach dort verschoben werden. Lokal ist es dann besser geworden, da aber der Zielort nicht beobachtet wurde, bringt das Ganze nicht weiter oder wird sogar in Summe schlechter. Es führt also kein Weg dran vorbei, ganzheitlich zu beobachten, Abhängigkeiten im Auge zu haben und sehr aufmerksam auch vermeintlich weit entfernte Veränderungen als potentielle Reaktionen auf die eingeleiteten Veränderungen zu untersuchen.

Freitag, 9. Oktober 2020

Autos und Mitarbeiter

 Ich auf der Autobahn. Schon wieder eine Baustelle, Tempo 80. Wie lässig die anderen Verkehrsteilnehmer mit dieser Situation umgehen und wie flott sie hindurchfahren. Ich schlage auf das erlaubte Tempo ein klein bisschen auf, aber aus Sicht meiner Mitmenschen scheine ich ein Verkehrshindernis zu sein.
Also zumindest bis zu der Stelle, an der unübersehbar am Straßenrand ein Radargerät aufgebaut. Ist da fahre ich ohne mir Gedanken machen zu müssen mit meiner Geschwindigkeit weiter, während die meisten um mich herum hektisch abbremsen (was mich dann leider auch zu unnötig langsamer Fahrt zwingt).
(1) Wenn keiner seinem Tacho traut, warum wird dann abseits der Radargerät so schnell gefahren?
(2) Halten sie sich nur an Regeln, wenn Strafen nicht nur angedroht sondern offensichtlich auch zur Anwendung kommen?
(3) Spielt das Strafmaß (oft nur wenige Euro, die den wenigsten Betroffenen merklich wehtun) eine Rolle?
(4) Oder ist es nur die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden?
(5) Wieviel Vertrauen kann man in die Autofahrer – als Gesamtheit gesehen – stecken, dass sie Regeln einhalten, egal, ob sie sie im Einzelfall für sich als relevant empfinden?
(6) Und spielt die Einsicht bei der Einhaltung eine Rolle oder eher die Angst vor Sanktionen?
(7) Hat die Einhaltung oder Nichteinhaltung neben einem angestrebten Ziel (z. B. Sicherheitserhöhung) auch Nebeneffekte wie „Erziehung“?
(8) Wo liegt das offensichtlich notwendige Gleichgewicht zwischen Verhaltenssteuerung und Überwachungsmentalität?
(9) Sollte man ein in der Sache entbehrliches Tempolimit statt Überwachung nicht besser entfernen?

Jedenfalls schweiften meine Gedanken an die Führung von Mitarbeitern oder die Entwicklung von Nachwuchskräften. Natürlich spreche ich dort nicht vom Tempolimit, sondern von Regeln und Prozessen, von Aufgaben und Arbeitskontrollen. Vom Ansatz her kann man die Situation darauf übertragen. Wenn ich ein gewisses Verhalten oder Dienstbeflissenheit erwarte, muss ich mir sehr ähnliche Fragen stellen. Dabei sollten je nach Umfeld die Fragen nach der Notwendigkeit (Punkt 9) und auch der – personenabhängigen – Tiefe (Punkt 8) allen weiteren Überlegungen vorausgehen.

Doch wenn ich einen Rahmen definiert habe, in dem die Mitarbeiter agieren sollen, dann muss ich ihn zwingend mit den oben genannten Fragen überprüfen und ein Radarsystem installieren. Gemäß Punkt 8 nicht misszuverstehen als Kontrollsucht oder Überwachung. Aber andererseits auch handhaben im Sinne von laissez-faire (machen lassen), denn in jedem von uns steckt ein wenig Kind, das immer mal wieder auslotet, ob man die (lästige) Vorgabe nicht einfach ignorieren kann.