Gerade habe ich bei meinem VW New Beetle das Birnchen für das Abblendlicht links ausgetauscht. Ich möchte dem Produzenten nicht zu nahe treten, aber wenn man für solch eine Aktion erst ein Video aus dem Internet anschauen muss, dann mit zwei verschiedenen Schraubendrehern, einer Wasserpumpenzange, einem Gummihammer und reichlich Kriechöl bewaffnet zum Erfolg kommt… dann stimmt doch irgendwas nicht.
Und das ausgerechnet bei einem Nachfahren des legendären VW Käfer, der vor mehr als 80 Jahren von Ferdinand Porsche entworfen wurde – ein Fahrzeug, dass 65 Jahre produziert wurde, in zahlreichen Varianten hergestellt, von Kunden zu allerlei Spezialeinsätzen umgebaut wurde und in allen Facetten des gesellschaftlichen Lebens präsent war.
Einzigartig aber nicht nur seine Erfolgsgeschichte. Meine Faszination geht auf die Genialität seiner Konstruktion zurück – ein paar Beispiele:
- Die selbsttragende Bodenplatte mit Motor, Getriebe und Fahrgestellt würde man heute (wieder) als Plattformstrategie bezeichnen. Auf diese Bodenplatte konnte man ohne statische Probleme andere Chassis mit anderem Aussehen oder Verwendungszweck aufsetzen.
- Bei der Auswahl der verbauten Teile orientierten sich die Ingenieure an leicht verfügbarem Material, wegen der damaligen Möglichkeiten im Schwerpunkt am Fahrradmarkt.
- Spezialwerkzeug war nicht notwendig, praktisch alle Arbeiten am Fahrzeug waren mit gängigen Schlüsseln und Drehern aus der Landwirtschaft zu erledigen.
- Auch typischer KFZ-Bedarf orientierte sich an der Versorgungslage. Luftfilter aus Papier waren schwierig zu besorgen, also wich man auf Öl-Luftfilter aus.
- Die Baugruppen waren miteinander verschraubt, so dass ein Austausch jedes Teiles relativ leicht möglich war.
- Es gab nur bei absoluter Notwendigkeit unterschiedliche Schraubenformate.
- Alle Verschleißteile waren gut erreichbar. Selbst den Ausbau des Motors konnte man ohne Hebebühne oder Grube in weniger als einer Stunde erledigen.
- Der Luftdruck des Reservereifens setzte gleichzeitig das Scheibenwischwasser unter Druck, auf eine separate Pumpe konnte verzichtet werden.
- Durch die Luftkühlung war kein reparaturanfälliger Wasserkreislauf notwendig.
Unter dem Strich entstand so ein robustes und legendär langlebiges Fahrzeug, preiswert in der Herstellung und in der Wartung.
An vielen Stellen haben wir heute einen viel höheren Standard erreicht, über Aspekte wie derzeit erwarteten Komfort und Sicherheit brauchen wir nicht zu sprechen.
Aber die Einfachheit, die konsequente und vorausschauende Berücksichtigung von praktischen Aspekten und unausgesprochenen Kundenanforderungen ist leider unerreicht. Langsam und zaghaft werden hier und da von den Herstellern die alten Tugenden wiederentdeckt, mal sind die Innenverkleidungen mit (haltbaren und auffindbaren) Klipsen befestigt, mal wurde bei der Erreichbarkeit von Verschleißteilen die Zugänglichkeit berücksichtigt. Bei der Variantenvielfalt von Auspuffanlagen zweifele ich allerdings am Verstand meiner Mitmenschen.
Wieso, frage ich mich, geht hier die Evolution rückwärts? Können wir uns dauernd hinter der steigenden Komplexität und dem angeblichen Marktdruck verstecken? Ich würde die vermeintlichen Kundenwünsche oder die Vorgaben der Designer nicht höher bewerten als die verborgenen Qualitäten einer gelungenen Konstruktion – siehe iPhone. Der Fortschritt muss ja durchaus nicht den bewährten Lösungen geopfert werden, er darf sie bloß nicht überheblich als altmodisch verwerfen.
Wir haben ganz sicher auch heute noch Menschen von der Genialität eines Ferdinand Porsche – sie zu erkennen, ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten zu nutzen ist die Herausforderung. Und dann können die Profis für Kundenpflege übernehmen und das Produkt an den Markt bringen.
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