Dienstag, 9. Februar 2021

Liebe macht blind

Sie war die Schönste in der Klasse. Angela. Nomen est omen, mit ihren langen schwarzen Haaren, feurigen Augen und wunderbarer Figur sah sie aus wie ein Engel - der Traum aller Jungs. Wenn sie einen anlächelte, hörte das Gehirn auf zu arbeiten. Und dann war sie auch noch intelligent dabei und schrieb die besten Noten.
Ich kann mich nicht erinnern, wie ich es hinbekommen habe, aber eines Tages waren wir zusammen. Meine Freunde konnten es nicht fassen, ich irgendwie auch nicht, aber es war traumhaft schön. Auf jeder Party war sie der Eyecatcher, ich verblasste natürlich neben ihr, aber das war mir egal. Es waren tolle Monate mit ihr und natürlich konnte das nicht auf Dauer so gehen, der Traum ging zu Ende.
Als mein bester Freund mir erzählte, dass sie längst mit einem anderen Jungen ginge, wollte ich es aber nicht glauben. Eigentlich glaubte ich es sogar, aber ich wollte es nicht wahr haben. Es passte ja alles zusammen, dass sie oft keine Zeit mehr für mich hatte, dass sie immer wieder abwesend wirkte und längst nicht mehr so aktiv wie anfangs zu Partys drängte.

Wenn ich heute daran zurückdenke, dann nicht in Trauer oder verletzter Eitelkeit. Selbst der „Betrug“ an unserer Beziehung schmerzt mich nicht. Es ist viel mehr das Erstaunen darüber, dass ich es nicht gesehen habe, nicht sehen wollte, entgegen der Tatsachen an ihr festgehalten habe. Sie hat mich blind gemacht, den rationalen Teil meines Gehirns ausgeschaltet. Es reichte noch nicht einmal, dass es bereits alle anderen wussten und mehr oder weniger explizite Andeutungen machten. Erst als mein Freund mich wachrüttelte, war ich nach anfänglichem Widerstand bereit, den Tatsachen ins Auge zu sehen und sie zu akzeptieren.

Oft erlebe ich das auch heute noch, weniger bei mir (zumindest merke ich es nicht), als bei vielen Mitmenschen. Sie verrennen sich in Sichten und Standpunkte, von denen sie von alleine nicht mehr abrücken. Geradezu fanatisch werden Meinungen vertreten, bar jeder vernünftigen Betrachtung und so nachdrücklich, dass sie sogar manche Freundschaft in Gefahr bringen.
Je nach Tiefe der (ich nenne es mal wohlwollend) Liebe kann selbst ein enger Vertrauter die Situation nicht retten. Sie kann sich bis in pathologische Zustände steigern, in denen andere Meinungen keinen Zugang mehr zu diesen Menschen haben. Sie lehnen andere Sichtweisen a priori ab, Andersdenkende werden als Feinde identifiziert. Die eigene Meinung zu verbreiten wird als Mission verstanden.

Mal so ein aktuelles Praxisbeispiel ist die Elektromobilität. Der Umgang mit diesem Thema ist eine Melange aus Umweltbewusstsein, politischer Steuerung über Fördermittel, eingeschränkte Sicht auf die Sachlage und dem Mitmachen von Modetrends.
So begeistert für die Sache wie ich seinerzeit für Angela. Dass sie längst mit einem anderen knutscht, dass die Mobilität sich schon anschickt, andere Wege zu gehen: Das zu akzeptieren erfordert einen Außenimpuls – den man aber auch an sich heranlassen muss.

Mit anderen Worten sind gerade die Begeisterung für eine Sache, der Eifer und die glühende Begeisterung gut und richtig. Aber je freudiger ich mich hineinsteigere, je intensiver der Kuss ist, desto offener muss ich mich anderen Meinungen gegenüber zeigen und desto aufmerksamer auf vielleicht in mir aufkeimenden Fanatismus (in diesem Wort steckt auch der „Fan“) achten.

[Andere Blogs: Dienstliche GlossenFeingeistiges] 

2 Kommentare:

  1. Netter Artikel, manche betreiben das Thema E-Mobilität mit einem regelrechten Fanatismus.
    Ich frage mich die ganze Zeit, ob sich auf der A2 auch eingeschneite Fahrer in Elektroautos befinden und wie schnell die Akkus alle sind.
    Mobilität in jeder Form muss neu gedacht werden. Siehe dazu auch: https://orf.at/stories/3198474/

    AntwortenLöschen
  2. Diese Überlegungen passen sicher zur Elektromobilität, leider aber auch zu Anderem/Anderen ...

    AntwortenLöschen