Bertold Brecht erklärt uns in der Dreigroschenoper, wie es mit der Sichtbarkeit steht. Im ersten Moment eine triviale Aussage, aber bestechend durch ihre Einfachheit und ganz besonders durch ihre Auswirkung auf unseren Alltag.
Aber der Reihe nach: Es ist menschlich, sich an Vorbildern zu orientieren. Sie erscheinen uns als positive Beispiele und geben uns eine Orientierung. Wir schauen ihnen zu, bewundern sie insgesamt oder zumindest bestimmte Eigenschaften oder Verhalten. Manchmal wecken sie auch eine sportliche Seite in uns, nach dem Motto „was der kann, kann ich auch“.
Mit recht kleinem Startkapital und mehr oder weniger Fingerspitzengefühle hat ein Bekannter an der Börse einen kleinen Reichtum erhalten. Ein anderer hat mit einer simplen Geschäftsidee in relativ kurzer Zeit eine eigene Firma hochgezogen, Angestellte und gute Reputation am Markt inklusive. Der dritte wurde beim Singen unter der Dusche von einem Agenten für das Showbiz entdeckt und steht jetzt bejubelt auf großen Bühnen.
Nun, das sind alles Entwicklungen, die sich verlockend lesen. Die Lust auf das Nachahmen machen. Allerdings gibt es hier ein deutliches „Aber“: Was ich da gerade aufzähle, das sind alles Erfolgsgeschichten, also Personen, bei denen es geklappt hat. Sie stehen im Sinne von Bertold Brecht im Lichte, man sieht sie. Was man nicht sieht (weil im Dunkeln) sind die nicht erfolgreichen. Kaum ein Mitmensch wird uns anvertrauen, dass er ein kleines Vermögen an der Börse verloren hat. Dass er nach mehreren erfolglosen Anläufen von Firmengründungen voraussichtlich den Rest seines Lebens Schulden abbezahlen muss. Dass selbst mittelgute Gesangsqualitäten nicht gereicht haben, um auch nur in kleinen Clubs auftreten zu können.
Ja klar, ein merklicher Teil der Mitmenschen hat nicht den Erfolg der Lichtgestalten. Und wieviele das sind, das kann man im wörtlichen Sinne als Dunkelziffer bezeichnen. Unbekannt.
In unserem Gehirn laufen aber von Natur aus Prozesse ab, die in der Bewertung und Gewichtung alles andere als objektiv sind. Es wischt die nüchterne Erkenntnis, dass auf einer Bühne nun mal kein Platz für tausende von Rockstars ist, dass es an der Börse mehr Verlierer als Gewinner gibt oder die Welt nicht auf jede Geschäftsidee gewartet hat, beiseite. Mal ganz abgesehen davon, dass in vielen Fällen gar nicht die nach Außen dargestellten Fähigkeiten, sondern verdeckte begünstigende Eigenschaften eine viel größere Rolle spielen. (Ich habe es den „Dieter Bohlen Effekt“ genannt.)
Ratsam also, sehr bewusst die Taschenlampe auszupacken und auch mal in die dunklen Ecken zu leuchten, wo die ganzen gescheiterten Kreaturen ein schlimmstenfalls glückloses Leben führen.
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