Dienstag, 18. Mai 2021

Helden, Märtyrer, Verbrecher und nichtlineare Systeme

Beschäftigen wir uns mal mit den Tiefen der Mathematik nichtlinearer Systeme (etwas präziser: mehrdimensionaler Systeme mit Termen höherer Ordnung). Keine Lust? Schade, denn wir sind davon umgeben.

Eine typische Eigenschaft nichtlinearer Systeme sind Singularitäten. Aus der Masse treten in bestimmter Dimension und unter gewissen Randbedingungen Einzelfälle hervor. Wir bezeichnen Menschen dieser Gruppe als Stars. Oder auch Sonderlinge, Mitmenschen also, die nicht nur anders sind, sondern von uns abgelehnt bzw. bestmöglich ausgemerzt werden. In beiden Fällen sind es aber keine normalen Menschen. (Normal im Sinne von durchschnittlich und damit gemäß der gewählten Definition keine Singularität.)

Eine zweite wichtige Eigenschaft der Nichtlinearität ist die Ausbildung von Attraktoren. Das sind Zustände, zu denen sich das betrachtete System sozusagen hingezogen fühlt. Im modernen Sprachgebrauch bezeichnet man sie als Influencer, denen wir als Follower an den Lippen hängen.

Heraus kommen als positive Ausprägung also Stars und Helden. Idole mit einem Fanclub, Vorbilder für Viele, nachahmenswert. Stellvertretend für eine solche Singularität nenne ich Mahatma Ghandi. Ein besonderer Mensch, der phasenweise weite Teile von Indien hinter sich versammeln konnte und dem Land aus der Kolonialherrschaft geholfen hat.

In negativer Ausprägung gibt es das leider auch. Menschen, die Gruppen, ja sogar Gesellschaften mobilisieren, damit aber großen Schaden anrichten. Denken wir beispielsweise an das dritte Reich. Hier hat eine Person einen Apparat aufgebaut, der seine Ideologie vertrat. Der erste Schritt also in gewisser Hinsicht analog zu Ghandi. Allerdings leider auf der Basis einer Ideologie, die unzählige Menschenleben gekostet hat, die in einen Weltkrieg geführt hat und uns bis heute in den Knochen steckt.

Und dann – not least – noch eine weitere Kategorie: Die Märtyrer. Auch sie sind singulär, haben ihre (nennen wir es mal) Bewunderer. Jesus Christus hat Menschenmassen in Bewegung gesetzt, ist am Kreuz gestorben und hat durch die Berufung von Aposteln dafür gesorgt, dass er auch nach rund 2000 Jahren immer noch Einfluss auf unser Leben hat.


Zurück zu den nichtlinearen Systemen. Eine in dieser Gedankenreise nicht betrachtete Eigenschaft ist die immanente Komplexität. Sie führt einerseits dazu, dass das Verhalten sozialer Strukturen (sogenannter Gesamtheiten) durch unendlich viele Einflussfaktoren bestimmt ist. Und dass eine kleine Änderung möglicherweise zu enorm großen Auswirkungen führt. Wodurch sich ein System beispielsweise nahezu schlagartig von einem Attraktor wegbewegen kann.

Eine fernab vorhandene Singularität spielt dann ebenfalls keine Rolle mehr. Praktische Auswirkung: Mangels Publicity lässt sich Ghandi irgendwo in der Provinz verprügeln, kommt Hitler nicht über die Dorfpolitik hinaus und schreibt Jesus seine Gleichnisse nur ein paar treuen Lesern von Blogs.

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