Mittwoch, 13. Oktober 2021

Alle meine Künstler

Trotz vielerlei Bemühungen scheint es ausgesprochen schwierig zu sein, den Begriff der Kunst allgemeingültig und alltagstauglich zu definieren. Doch völlig unabhängig sind wir uns einig, dass Kunst in verschiedenen Ausprägungen vorkommt. Ich nenne es Ausdrucksformen (z. B. Malerei, Musik, Literatur und so weiter) und lasse dabei offen, ob es sich bei einem Produkt um ein Werk oder eben ein Kunstwerk handelt.


Was die Ausdrucksformen verbindet sind die Qualitätsstufen. Auch das größte Malereigenie hat mal mit Kritzeln angefangen, die ersten Choreografien eines Tänzers sind unbeholfenes Tapsen. Und dann die Lernphase, das Nachahmen wie beim Erlernen der Schreibschrift. Wie in der Grundschule sieht das Ergebnis (im Idealfall) erst mal bei allen Schülern gleich aus, doch rasch differenziert sich das Schriftbild. Die Schrift formt sich, wird individuell und ein Spiegel des Charakters. Nicht anders auch in der Musik, wo auf den „strengen“ Klavierunterricht eine Phase der persönlichen Note, der Individualisierung, folgt.

Im nächsten Schritt wird es dann professioneller, die Technik steht nicht mehr im Vordergrund. Wie man einen Pinsel hält, welche Aspekte bei der Farbwahl und dem Malmittel zu beachten sind, das alles ist in Fleisch und Blut übergegangen. Der Schwerpunkt verschiebt sich in Richtung Interpretation einer Vorlage, Variation nach eigenen Vorstellungen. Der Schriftsteller könnte nach Lektüre eines Buches auf die Idee kommen, den Plot auf seine Art aufzubereiten und die Geschichte aus einer anderen Perspektive nachzuerzählen.

Dem Nachahmen und Variieren folgt das Verstehen der Grundregeln, die die Basis der gewählten Ausdrucksform bilden. Die Struktur eines Musikstückes, die Aufteilung in Abschnitte, Takte, Wiederholungen und Rhythmen können in ihrer Ausprägung modeabhängig sein, weitgehend zeitlos ist jedoch die im (europäischen) Kulturkreis verankerte Harmonielehre. Der Meister der Pinsel wird sich eher an Proportionen und Farbkreisen orientieren, der Hüter des guten Wortes an rhetorischen Mitteln.

Und schließlich – die Kür – wird aus der eingängigen und leicht verdaulichen Musik der Jazz, der dem Zuhörer möglicherweise eine ausgewachsene Portion Beschäftigung abverlangt. Es ist das Pendant zur abstrakten Malerei, nichts ist konkret zu erkennen, aber es gehorcht bestimmten Regeln und in den meisten Fällen ist es eine sehr komprimierte Darstellung. In der Schriftform kennen wir diese Kompression als Gedicht.

So sind sie, die Künstlerinnen und Künstler: Menschen, die in ihrer eigenen Welt leben, eine eigene Sprache (Ausdrucksform als Kommunikationsmittel) sprechen und eben auch einen unterschiedlich großen Wortschatz haben. Und um im Bild zu bleiben ist auch hier eine Verständigung aufgrund von Dialekt oder gar Fremdsprache möglicherweise schwierig oder unmöglich.

[Andere Blogs: Dienstliche GlossenFeingeistiges] 


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen