Mittwoch, 11. Mai 2022

Wir steuern und steuern und steuern – nur wonach eigentlich?

Im Auto sitze ich am Steuer. Das Lenkrad fest in der Hand sorge ich dafür, dass das Auto samt Inhalt wohlbehalten am Ziel ankommt. Bei genauerer Betrachtung habe ich zum einen die Aufgabe, das Auto auf der Straße zu halten, also unfallfrei zu fahren. Zum anderen habe ich aber auch ein bestimmtes Ziel vor Augen, zu dem ich das Fahrzeug lenken möchte.

Das sind zwei unterschiedliche Ansprüche. Ohne Kollision unterwegs zu sein kann je nach Verkehrslage, Geschwindigkeit und Fahrbahn eine schwierige Aufgabe sein. Die Bewältigung lerne ich zumindest grundsätzlich in der Fahrschule, in modernen Autos werde ich von allerlei Assistenzsystemen wie ESP unterstützt. Zur Steuerung schaue ich durch die Scheiben nach draußen und vergleiche die tatsächliche Bewegung und Umgebung (z. B. Kurve) mit dem Kurs des Autos, was ich durch Lenkbewegungen in Einklang zu bringen versuche.
Den optimalen Weg einzuschlagen ist eine andere Sache. Hier helfen Karten, Verkehrsschilder, ein ortskundiger Beifahrer, meine eigene Erfahrung oder heutzutage ein Navigationsgerät. Wer oder was auch immer die Anweisungen zum Abbiegen oder Beibehalten der Richtung macht, hier wird die Route allein durch die zur Verfügung stehenden Straßen und das angepeilte Ziel vorgegeben. Es geht nicht um Unfallfreiheit, sondern um optimales Erreichen des Zieles.

Ein wenig abstrakt formuliert, handelt es sich also um die operative Umsetzung einer Zielplanung. Im Beruf geht es also zunächst darum, das Geschäft behutsam zu steuern, um die Tagesarbeit ohne eklatante Fehler zu erledigen. Organisationen müssen strukturiert, Aufgaben definiert und abgegrenzt und Schnittstellen festgelegt werden. Wir sind mitten im Wirkungskreis der Betriebswirte und Controller.

Übergreifend und als Grundausrichtung ist das generelle Ziel von Interesse. Welche Geschäftszweige sollten ausgebaut oder ergänzt, welche sukzessive reduziert werden. Das sind Fragen, die Berater beantworten können, die im übertragenen Sinne die Straßen kennen und Empfehlungen für die richtige Route geben.

Doch in beiden Fällen stellt sich die Frage, wonach man im Idealfall steuert. Dafür werden Kennzahlen erhoben, miteinander verbunden und Zeitverläufe analysiert. Und an genau dieser Stelle holt einen die Vielfalt ein. Es gibt keine grundsätzlich richtige Antwort, ob man Entscheidungen nach Deckungsbeitrag, Börsenkurs, Mitarbeiterzufriedenheit, Marktanteil oder sonstigen Messzahlen wie Risikoaffinität trifft. Leider wird oft unterschätzt, dass allein schon diese Auswahl entscheidend die Unternehmens-Philosophie beeinflusst und umgekehrt. Hinzu kommt, dass dieses (ich nenne es mal) Steuerungs-Profil auch den Mitarbeitern, Anteilseignern und Kunden vermittelt werden muss.

Ein Beispiel aus dem Alltag soll dies verdeutlichen. Wir haben vor einigen Monaten bei einem (Corona-) Inzidenzwert oberhalb von 35 strenge Maßnahmen auferlegt bekommen. Heute, bei Werten von mehreren hundert Infektionen pro Hunderttausend Personen, wird selbst das Tragen von Masken nur noch als Empfehlung formuliert. Was ist passiert? Die Auswahl der zu beachtenden Regeln wird gar nicht (mehr) über den bekannten Inzidenzwert gesteuert, sondern leitet sich aus anderen Faktoren, zum Beispiel der Hospitalisierung, ab. Da dies nicht deutlich genug formuliert wird, sind viele Bürger verunsichert oder wundern sich. Protest bleibt zwar aus, weil das Leben dadurch erleichtert wird, aber insgeheim sinkt das Vertrauen in die Sinnhaftigkeit der politischen Vorgaben. Woraus wir für Unternehmensführung lernen sollten, um nicht nur eine mehr oder weniger erfolgreiche Richtung einzuschlagen, sondern alle Beteiligten auf dem Kurs auch mitzunehmen.

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