Ich stehe vor dem Spiegel und betrachte meine rechte Hand. Ist sie eigentlich rechts oder links? Ich schaue an mir herunter, sie ist rechts. Aber irgendwie bin ich irritiert, da hat der Spiegel doch die Seite vertauscht. Zwinkern mit dem linken Auge bestätigt meinen Verdacht: Die Person im Spiegelbild zwinkert mit rechts. Also umgedrehte Seiten, auch wenn ich den Kopf neige, allerdings stimmen oben und unten. Woher weiß der Spiegel das nur?
Die Lösung liegt darin, dass der Spiegel nicht rechts und links, sondern vorne und hinten vertauscht. Den Effekt kennt jedes Kind, die Erklärung ist vielen Menschen unbekannt. Und das ist noch nicht einmal schlimm, am Ende ist für uns entscheidend, dass wir uns selbst betrachten können, je nach Situation die Kleidung kontrollieren oder das Make-up auftragen wollen. Wie schön, dass es Spiegel gibt, wie schön, dass sie auch ohne Kenntnis der physikalischen Grundlagen zu Diensten sind und wie schön, dass sie zuverlässig funktionieren.
Wobei gerade der letzte Punkt heutzutage eine nicht ganz selbstverständliche Eigenschaft ist. Stellen wir uns vor, der Spiegel bräuchte zwingend eine WLAN-Verbindung, müsste vor der Benutzung erst mal gebootet werden, bräuchte alle Nase lang ein Update und wäre irgendwann nicht mehr mit dem Waschbecken darunter kompatibel.
Schmunzler? Ich drehe den Spieß mal um und frage mich, warum es nicht mehr Spiegel in meinem Leben gibt. Die immer technischer werdende Landschaft mit ausgesprochen entbehrlichen Sonderfunktionen überfordert nicht nur mich zunehmend. Früher habe ich einen Lichtschalter betätigt, damit den Stromkreis geschlossen und es wurde hell. Heute ist der Lichtschalter „smart“, ich brauche zum Einschalten allerlei technisches Equipment. Heller wird es dadurch allerdings nicht.
An dieser Stelle haben wir (bislang) die Wahl, können uns für oder gegen die Sprachsteuerung mit Alexa entscheiden. Aber an vielen anderen Stellen lässt sich nicht ausweichen, ist ein moderner Fernseher ein Rechenzentrum mit Großbildschirm, was wir auch bei der Bedienung zu spüren bekommen. Womit klar wird, dass die Bedienbarkeit als Anforderung immer weiter in den Mittelpunkt geraten muss. Benutzer sind nicht nur technikaffine Nerds, intelligente Akademiker oder Wohlhabende, die sich alles einrichten lassen.
Kundenerlebnis („Customer Experience“) beginnt bei der Inbetriebnahme (Installation und erste Schritte), geht weiter über die Bedienung (Intuition) und endet noch nicht bei der Inbetriebhaltung (Wartung).
Wer zur Umsetzung dieser wichtigen Anforderungen Technikern das Heft in die Hand gibt muss sich nicht wundern, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit ganz schön viele Kunden abgehängt sind. Testläufe mit normalen, vielleicht sogar ausdrücklich etwas ungeschickten Benutzern zahlen sich ebenso aus wie der Einsatz von professionellen Designern. Gemäß dem Motto „weniger ist mehr“ empfiehlt sich oft der Verzicht auf eine weiter Sonderfunktion oder die Möglichkeit, alle Parameter über irgendwelche Menüs steuern zu können.
Zumindest von der Richtung her zeigt uns die Marke mit dem Apfel im Logo einen Ansatz, der überzeugend viele Menschen anspricht. Ich weiß zwar nicht, wie die App funktioniert und sie kann auch nur diese eine Sache für mich erledigen, aber wie sie zu bedienen ist haben selbst Kinder nach wenigen Minuten verstanden. Das ist mit Sicherheit noch nicht das Ende des Fortschritts, unsere Entwickler und Ingenieure, aber auch Designer und Tester haben ein weites Feld vor sich. Und dieses weite Feld besteht – das möchte ich noch mal betonen – nicht nur aus technischen Aspekten.
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