Mittwoch, 6. März 2024

Auch Kunstwerke bestehen aus Atomen

Ich habe einmal gehört, dass gute Kameraleute einen Film nicht als Fortlauf, sondern als Aneinanderreihung von Fotos sehen. Jede Szene, ja jede Einstellung wird dabei nicht etwa im Sinne eines Videos aufgenommen, sondern als Stillleben mit Bewegung, als Abfolge von Porträts. Bei Betrachtung großer Kinofilme kann man das sehr gut beobachten, Landschaftsaufnahmen, Architekturen oder Statisten sind bedacht arrangiert, betont oder zurückgenommen, mit den üblichen Mitteln der Fotografie.

Ähnliche Mechanismen sehe ich auch in der Malerei, wo große Bilder im Idealfall aus kleineren Elementen zusammengesetzt sind, jedes für sich ein kleines Werk, aber eben komponiert und arrangiert zum Gesamtwerk. Das bedeutet nicht, dass jedes Detail ausgearbeitet sein muss, vielmehr darf es ja dem eigentlich zu präsentierenden Bildinhalt nicht den Rang ablaufen.

Und schließlich – mein Heimatgebiet – gilt es in besonderem Maße auch bei Literatur. Ein Roman besteht aus einer großen Anzahl an Szenen, Beschreibungen von Figuren, Räumen oder Umgebungen. Jeder neue Aufzug muss wie in einer Kurzgeschichte ausgearbeitet werden. Wie beim Gemälde darf es den Handlungsverlauf nicht stören, nur eventuell wie eine Arie in der Oper kurz den Fortlauf unterbrechen, um den Leser auf der Gedankenreise nicht zu verlieren.

Doch leider erlebt man in diesen oder anderen Kunstformen, dass dieses Verständnis der Atomisierung nicht vorhanden ist. Da wird drauflosgefilmt, alles bewegt sich (wie zu Stummfilmzeiten), als ob der Zuschauer selbst in einer Achterbahn säße. Gemälde sind wild zusammengepinselt, auf Feinheiten oder kontrollierte Komposition wurde verzichtet, das soll der Betrachter dann in seinem Kopf irgendwie sortieren und wieder zusammenbauen.

Ja und beim Lesen kommt es offensichtlich gar nicht darauf an, dass der Rezipient die Sprachbilder in seinem Kopf ausmalen kann, dass er in der wörtlichen Rede eine Sprache wiederfindet, die er auch aus dem Alltag kennt. Kleine Ungereimtheiten soll er in Kauf nehmen, ist doch die Handlung spannend und der Plot so verworren, dass er sein Gehirn mit anderen Aufgaben beschäftigen muss.

Manchmal verwechseln Künstler den bewussten Verzicht auf Detaillierung mit dem schlampigen Hinwerfen von Unfertigem, kürzen Beschreibungen und sparen sich die Zeit, an Formulierungen und Darstellungen zu feilen. Das ist dann ein Sie-wissen-schon-was-ich-meine anstelle einer Handreichung für das gemeinsame Erreichen der gedanklichen Ausarbeitung. Im Sinne des Slogans „Bauhaus – wenn’s gut werden soll“ empfiehlt sich jedenfalls die bewusste Erstellung von Werken aus Grundbestandteilen – den Atomen nämlich.

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