Komplexe Systeme zeichnen sich dadurch aus, dass sie verschiedene Einflussfaktoren (Input) haben, gleichzeitig mehrere Ergebnisse (Output), diese Kanäle auch noch miteinander verbunden sind (Rückkopplung) und schließlich Reaktionen nicht streng proportional erfolgen (Nichtlinearität).
Im täglichen Leben sind wir hiervon umgeben, insbesondere die Politik ist ein typisches Feld von Komplexität. Wenn ich einen Wirtschaftszweig subventioniere beschwert sich ein anderer Zweig, beiden ist aber gemeinsam, dass sie bestimmte Verbraucherreaktionen hervorrufen, die sich allerdings in den Zielgruppen unterscheiden. Und so weiter.
Wenn man dies bei der Betrachtung und Beobachtung von politischen Entscheidungen berücksichtigt, wird klar, dass man in praktisch allen Fällen feststellen muss: "Die Welt ist nicht so einfach". Es gibt nur in seltenen Fällen eindeutig richtige oder falsche Entscheidungen (dann handelt es sich eben nicht um komplexe, sondern maximal um komplizierte Systeme). Und da der gewünschte Effekt entweder qualitativ oder quantitativ anders eintritt als erwartet und zudem unerwartete oder gar unerwünschte Nebeneffekte aufweist muss man viel herumprobieren.
Als weitere Schwierigkeit kommt hinzu, dass geeignete Lösungen sowohl zeitlich als auch regional unterschiedlich aussehen können. Was heute gut ist, kann morgen schlecht sein. Was in Deutschland ein toller Ansatz ist, kann in einem anderen Land in die falsche Richtung gehen. Aus der Vergangenheit lernen, von einem anderen Land abschauen oder auch nur sehr ähnliche Vorgänge nachzuahmen geht mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit schief.
Ebenso hohe Wahrscheinlichkeit des Scheiterns findet man vor, wenn eine Ideologie auf ein komplexes System trifft. Starre Sicht, fixierte Glaubenssätze, dogmatische Vorgaben und unflexible Organisation sind für die Behandlung von Komplexität von der Basis her ungeeignet.
Schauen wir auf die Hippie-Bewegung und ihre Vorstellung einer freiheitlichen Sozialstruktur. Dass der Ansatz nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, können alle jüngeren Leute bestätigen. Aber selbst die bemerkenswerten Versuche, dieses Modell in kleinem Rahmen zu etablieren sind bei unvoreingenommener Betrachtung gescheitert. In der dänischen Freistadt Christiania kann man sich dies einmal anschauen.
Übrigens machen auch viele Firmen oder Teams die Erfahrung, dass Selbstorganisation im Optimalfall funktioniert und motiviert, aber oft eher zu Durcheinander oder Unzufriedenheit führt. Man kann dieses Modell nicht als die grundsätzlich richtige Lösung bezeichnen, weil es stark von der Situation, den handelnden Menschen (und deren Teamtyp) sowie weiteren Randbedingungen abhängt.
Dies zu verstehen und in allen hieraus resultierenden Konsequenzen zu akzeptieren fällt den meisten Menschen überaus schwer. Sie sagen dann "das kann doch nicht so schwierig sein, wofür gibt es Fachleute?", oder "Das leben uns die Skandinavier doch vor, warum machen wir es nicht auch so?" oder bei Kindern und Managern beliebt: "Will ich aber!". Diese Fehleinschätzung führt nicht nur zu unberechtigter Kritik, auch die hieraus scheinbar logisch gezogene Konsequenz ist verkehrt.
Weder ein noch so versierter Fachmann noch ein beliebig ausgefuchstes Computersystem können eine eindeutig richtige Antwort geben. Gerade in Zeiten von ChatGPT, einem scheinbar allwissenden Berater, muss man sich das noch mal sehr deutlich vor Augen halten. Einziger eventueller Vorteil ist, dass ein Computer im Sinne der Spieltheorie in kürzester Zeit ganz viele Möglichkeiten durchspielen (simulieren) kann und damit - ein geeignetes Modell vorausgesetzt - einen guten Vorschlag für einen praktischen Probelauf machen kann.
Abschließend aber auch der Hinweis, dass man selbst bei Probeläufen und Tests geschickt oder ungeschickt agieren kann. Ob man ein wissenschaftliches Experiment durchführt, ein neues Rezept ausprobiert oder die Reaktion seiner Mitmenschen auf eine ungewöhnliche These einschätzen will: Es gibt Ansätze, die mit Sicherheit scheitern und andere, die eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit haben. Nur Mut also, aber je verwegener der Antritt, desto wichtiger ist eine möglichst umfassende Systembeobachtung und bedarfsweise Anpassung der Parameter.
[Weitere Blogs: Dienstliche Glossen, Feingeistiges]
Wie wahr, lieber Eckhard! Und für uns Menschen (auch für mich) oft genug nicht zu akzeptieren, da wir mit Ambiguitäten/Offenem/Undefininierten/Uneindeutigem schwer umgehen können/wollen...
AntwortenLöschen