Mittwoch, 25. September 2024

Parieren – oder: Kann ein Bär Gedanken lesen?

Heinrich von Kleist beschreibt in den Berliner Abendblättern (Über das Marionettentheater) eine Szene, in der der Erzähler zum Fechten gegen einen Bären antritt. Dabei erlebt er eine Überraschung:

Nicht bloß, daß der Bär, wie der erste Fechter der Welt, alle meine Stöße parirte; auf Finten (was ihm kein Fechter der Welt nachmacht) gieng er gar nicht einmal ein: Aug’ in Auge, als ob er meine Seele darin lesen könnte, stand er, die Tatze schlagfertig erhoben, und wenn meine Stöße nicht ernsthaft gemeint waren, so rührte er sich nicht.

Kann ein Bär also in die Zukunft sehen oder Gedanken erraten? Tatsächlich nicht, die Ursache liegt an einer anderen Stelle. Wenn wir bei der Bewegung schon den Rückzug einplanen, verlagern wir unser Gleichgewicht anders, wir dürfen es nicht in Richtung Bär verschieben, denn sonst würden wir uns ja im Endeffekt auf ihn zu bewegen. Da wir aber nur auf ihn zu und direkt wieder zurückweichen wollen, muss unser Schwerpunkt sozusagen hinten bleiben. Und genau das kann man von außen sehen, kann der Bär für die Ernsthaftigkeit unseres Angriffs interpretieren.

Nun wird kaum jemand von uns regelmäßig mit Bären kämpfen und es ist auch eher unüblich, dass in Bürogebäuden mit dem Florett gefochten wird. Aber auch in der Kommunikation oder allgemein im Umgang miteinander finden wir dieses Phänomen wieder. Und wir kennen hierfür den Begriff der Schlagfertigkeit. Wir sind Schlag-fertig, Schlag-bereit, Schlag-willig. Wer nur mal vorsichtig kitzeln möchte, der ist nicht schlagfertig und muss sich nicht wundern, dass der Bär gegenüber uns nicht ernst nimmt und nicht von der Stelle bewegt.

Die innere Einstellung, eine Finte, einen Scheinangriff oder einen wirklich (eingeleiteten) Angriff kann man bei sorgfältiger Betrachtung unterscheiden. Egal ob körperlich oder verbal.

Quintessenz: Wenn man zuverlässig seinen Gegenspieler bewegen will, dann muss man auch von innen heraus angriffsbereit sein. Plagen uns Skrupel oder wollen wir einen Kampf eigentlich vermeiden, wird ein entsprechend sensibler Gegner dies registrieren und die Attacke als harmloses Scheingefecht abtun. Andererseits muss man aber als potentiell Angegriffener sorgfältig beobachten, ob der Gegner wirklich auf uns losgeht oder nur aus seiner Position heraus mit den Fäusten wackelt.

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