Dienstag, 16. März 2021

Wer braucht schon einen Bassisten

Langsam geht das Saallicht aus, kurze Dunkelheit, dann die Scheinwerfer und Spots, der Sänger stürzt auf die Bühne, schnappt sich das Mikro, raunzt irgendwas Unverständliches hinein und wird nun verstärkt durch den auftauchenden Leadgitarristen, der seinem Instrument einen wilden Riff entlockt. Das Publikum klatscht, in die beginnende Show mischt sich seitlich der Keyboarder ein, kontrapunktiert den Sound und sorgt mit wilden Faxen für Aufsehen, während über allem der Schlagzeuger thront, mit seinen Stöcken die Felle traktiert und uns mit dem Fußpedal vor der Bassdrum den Rhythmus in die Magengrube pumpt.

Längst ist der erste Titel bei seinem zweiten Refrain angekommen und die Zuschauer starren wie hypnotisiert auf Sänger und Gitarrist, als der Sound plötzlich dünn wird. Es dauert einen Moment, bis man bemerkt, dass nun hinten auf der Bühne Bewegung ist, da stand doch tatsächlich ein Bassist, unbemerkt, nahezu unbeweglich und nur mäßig beleuchtet, jetzt aber fingert er mit hastigen Bewegungen an seinem Verstärker und dem Kabel, ein Roadie kommt ihm zu Hilfe, beide fummeln an dem Equipment herum, ein zweiter Roadie bahnt sich einen Weg zu ihm, ein Ersatzkabel in der Hand und dann hört man endlich ein paar befreiende tiefe Töne, bis der Bassist seinen Klangteppich wieder vollständig unter dem Sound der restlichen Band ausgerollt hat.

Wer das noch nicht erlebt hat, kennt ähnliche Szenen aus dem Alltag. Vieles, was unbemerkt vorhanden ist, als Selbstverständlichkeit angenommen und nicht in seiner eigentlichen Relevanz wertgeschätzt. Das erstreckt sich von ausreichend Nahrung über die Freizeitgestaltung bis zur Gesundheit. So richtig wachgerüttelt werden wir erst, wenn diese vermeintlichen Natur-Gegebenheiten mal wegfallen. Muss man erst mit rationierter Nahrung wochenlang auf einer Berghütte ausharren, Corona-bedingt dem Kino fernbleiben oder allmorgendlich mit Hüftschmerzen aufwachen, damit man erkennt, wie gut es einem geht?

Besonders häufig treffe ich dieses Phänomen aber auch im Berufsleben an. Da besteht ein Team aus den unübersehbaren Performern, mehr oder weniger gute Leistung verbunden mit gutem Selbstmarketing. Da werden von vielen Mitarbeitern und Führungskräften die Menschen übersehen, die wie unser Bassist den Teppich bilden, durch stille Arbeit im Verborgenen erst das Ergebnis ermöglichen oder zumindest abrunden, Mauerblümchen, Schattengewächse. Die brauchen wir unbedingt auch, sie müssen wertgeschätzt und auf ihre Art eben auch gehegt und gepflegt werden. 

Dass ein gutes Team stets aus einer gekonnten Mischung aus Frontleuten und Hintergrundakteuren besteht, beschreibt R. M. Belbin in seinem Buch „Managementteams“. Dort stellt er auch dar, dass hochkarätig besetzte Teams durchaus erfolglos sein können. Um im eingangs gemalten Bild zu bleiben, kann auch ein Ensemble aus gutem Sänger, Gitarrist, Keyboarder und Schlagzeuger nicht auf den Bassisten verzichten.

1 Kommentar:

  1. Leider fallen die Arbeiter/-innen im Ameisenhaufen „Team“ bedeutungsmäßig meistens hinten herunter, und nur die „Großen Zampanos“ glänzen (nicht selten völlig ungerechtfertigt).

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