Dienstag, 29. November 2022

Auf der Mittelspur ist er geboren

Gerade komme ich von einer längeren Autobahnfahrt zurück und bin wieder gut zu Hause. Wer längere Strecken zurücklegen muss, der hat zum einen Abschnitte mit viel oder weniger Verkehr, dann aber auch Abschnitt mit oder ohne Baustellen, mit oder ohne Geschwindigkeitsbeschränkung. Doch wo auch immer ich unterwegs bin, es gibt immer die Fahrerinnen und Fahrer, die es sich auf der Mittelspur gemütlich gemacht haben.

Auf der Mittelspur ist er geboren
Wenn eher sporadisch mal ein weiteres Auto auf der Autobahn unterwegs ist, dann stört so ein Verhalten nicht weiter. Man überholt diese Fahrzeuge einfach ohne darüber nachzudenken. Wenn aber die Verkehrsdichte zunimmt, dann werden sie zur Plage. Ich darf sie ja nur links überholen, obwohl rechts genug Platz wäre. Nach dem letzten überholten Laster sind sie ja gar nicht auf die Idee gekommen, wieder auf der rechten Spur zu fahren. Nein, sie sind vermutlich vor hunderten von Kilometern aufgefahren, haben es sich auf der Mittelspur bequem gemacht und werden bis zu ihrem Autobahnkreuz oder ihrer Abfahrt auch dort bleiben.

Stimmt doch, solche Mitarbeiter kennen wir auch in der Firma. Irgendwann mal eingestellt worden, jetzt seit vielen Jahren auf ihrem Posten, man kommt nicht dran vorbei, obwohl sie ihren Job nicht so gut erfüllen, wie wir es uns wünschen. Überholen dann nicht unbedingt im Sinne von Karriere, sondern mehr im Sinne von zügigerer Abwicklung, moderner Umgang, optimierter Ablauf.

Nun habe ich ja verschiedene Möglichkeiten, mit diesen Zeitgenossen umzugehen. Ich kann ganz korrekt darauf warten, dass die linke Spur frei ist und sie überholen. Ich kann mich hinter sie einordnen, mit Blinker, Lichthupe, Gesten oder was mir sonst noch einfällt versuchen zu signalisieren, dass sie bitte dem Rechtsfahrgebot Folge leisten sollen. Oder sie rechts überholen.
Und natürlich die Frage, ob es mich emotional bewegt oder ich mehr oder weniger ungerührt meine Fahrt fortsetze, wie auch immer ich mit dem rollenden Hindernis umgehe.

Welcher Typ ich bin, ob ich eher zu einer Ordnungswidrigkeit (rechts überholen) neige oder dem Anderen deutlich machen möchte, dass er den Weg frei machen soll, vielleicht sogar rüberbringen möchte, dass er etwas falsch macht. Die Wahl der Strategie hängt auch vom Umfeld (der Autobahn), den Möglichkeiten (anderen Verkehrsteilnehmern), der Gesamtsituation (Verkehrsdichte und Witterung) sowie der absehbar weiteren Entwicklung (Baustelle oder Stau in Aussicht) ab.

Dieser lästige Kollege, der auf seit Jahren auf seinem Posten hockt, Vorgänge blockiert oder widerspenstig auf Prozessen beharrt: Füge ich mich gelassen in die Umstände, umgehe ich ihn geschickt oder äußere ich meinen Unmut und beschwere mich? Erst mal die Situation analysieren und dann im Einzelfall entscheiden – nur aufregen sollte ich mich jedenfalls nicht.

Mittwoch, 23. November 2022

Mut, Fehlerkultur und Sicherheit

Ich staune immer, wenn mal wieder der Aufruf nach Mut erschallt. Kaum ein Begriff scheint mir so offensichtlich als reines Lippenbekenntnis daher zu kommen. Wie irgendwelche Krieger sollen nun auch die Angestellten Mut zeigen. Dann ist Mut keine Tugend mehr, sondern ein Befehl. Und dieser wird – ganz im militärischen Sinne – von Vorgesetzten erteilt.

Nun ist Mut grundsätzlich positiv belegt, wird aber nicht selten mit Draufgängertum oder Wagemut verwechselt. Mut ist ein unentbehrlicher Bestandteil für Fortschritt, wenn man ihn als Gegenpol zu Zögerlichkeit, Verzagtheit oder ängstlichem Verharren versteht.

Mut Fehlerkultur und Sicherheit
Werfen wir einen Blick auf ein typisches Beispiel. Sehr viele Menschen in Deutschland erlernen als junge Erwachsene das Führen eines Autos. Ihnen einfach den Schlüssel in die Hand zu drücken und sie in den normalen Verkehr zu lassen wäre sicher fahrlässig. Also gibt es Fahrschulen mit Lehrern und Fahrstunden. Wobei der Fahrschüler das Auto lenkt, der Fahrlehrer aber eingreifen kann und für Notfälle eine komplette Pedalerie zur Verfügung hat.

Der Neuling wird also nicht alleine gelassen, es wird ihm zugetraut, das Fahrzeug zu lenken. Aber sicherheitshalber gibt es einen aufmerksamen Begleiter, der ihn vor Unfällen bewahrt.

Mut zu Veränderung, das bewusste, wenn auch kontrollierte Eingehen von Risiken ist wie gesagt eine wichtige Zutat für Entwicklung. Dauerhafte Angst vor Misserfolg hemmt jeden Fortschritt in Abteilungen oder Unternehmen. Sicherheit schafft in diesem Fall ein erfahrener Begleiter (analog zum Fahrlehrer), der die Wahrscheinlichkeit eines Misserfolges deutlich dämpft. Mal über einen Bordstein zu fahren ist in Ordnung, aber vor dem Crash mit einem Baum sollte man schon bewahrt werden.

Ein anderes Beispiel ist die Projektleitung. Spielraum in der Ausgestaltung und Ausprobieren müssen erlaubt sein. Auch hier kann man kleine Fehler verzeihen, große muss man aber durch kompetente Führung verhindern. Fehlerkultur heißt nicht, dass man freie Hand gibt, jeder noch so grobe Schnitzer ohne Folgen bleibt. Sondern das kontrollierte Zulassen kleiner Ungeschicklichkeiten und das gezielte Lernen daraus.

Noch mal zur Fahrstunde. Wenn ein Schüler auch nach zahlreichen Übungsstunden über den Bordstein hoppelt, Stoppschilder ignoriert und mit dem Befahren einer Landstraße überfordert ist sollte er nahegelegt bekommen auf das Autofahren zu verzichten. Analog sollte ein Mitarbeiter andere Aufgaben übertragen bekommen, wenn er zu der zugewiesenen Tätigkeit nicht geeignet ist, auch wenn er sie vielleicht gerne ausüben möchte.

Mittwoch, 16. November 2022

Immer schön im Gleichgewicht bleiben

Immer schön im Gleichgewicht bleiben

Tanzen ist die Kunst, trotz allerlei Bewegungen zu Musik stets im dynamischen oder statischen Gleichgewicht zu bleiben. Das klingt recht akademisch, aber tatsächlich würden wir bei jedem Schritt umfallen, wenn wir nicht durch irgendeine mehr oder weniger unsichtbare Gewichtsverlagerung den Schwerpunkt wieder über die Füße bringen würden.

Dabei ist nicht entscheidend, ob der Tanz eher ruhig daher kommt oder der Tänzer in wilden Bewegungen über die Tanzfläche wirbelt. Je weniger Veränderung, desto präziser muss der Schwerpunkt zu jeder Zeit über den Tanzschuhen platziert sein. Bei zügigen Bewegungen sind noch weitere Aspekte wie zum Beispiel die Fliehkraft zu berücksichtigen.

Was beim Tanz automatisch passiert, ja schon beim Gehen oder Laufen erforderlich ist, das ist bei der strategischen Ausrichtung einer Organisation gar nicht so selbstverständlich. Aber auch hier muss das Gleichgewicht austariert werden, sonst gibt es eine unerwünschte Panne; Wer das Controlling aufstockt, der sollte auch mehr zu steuern haben, sonst droht die Selbstbeschäftigung. (Das gilt natürlich auch für andere grundsätzlich notwendige und wünschenswerte Einheiten.) Weder der Personalbereich noch die IT oder die Unternehmenskommunikation dürfen Selbstzweck sein. Wachsen sie überproportional, dann ist das Gleichgewicht gestört.

Klassischer Paartanz ist die Bewegung zweier Menschen, hier kann man in vielen Figuren ein gemeinsames Gleichgewicht beobachten. Falsch ist, wenn der eine Partner auf Kosten des anderen außerhalb seines Schwerpunktes unterwegs ist und diesen damit belastet: Erst mal muss jeder selbst auf seinen Füßen stehen. Richtig allerdings, wenn in manchen Figuren ein Gleichgewicht zwischen den Beteiligten angestrebt wird, jeder ohne den anderen hinfallen würde.

Auch diese Analogie lässt sich auf Organisationen übertragen. Nur leider wird dabei oft übersehen, dass in jedem Fall ein enger Austausch stattfinden muss und eben der Schwerpunkt im einen Fall für beide Seiten einzeln, im anderen Fall für die gemeinsame Einheit austariert werden muss.

Mittwoch, 9. November 2022

Das Popometer

Das Popometer
Mit dem bekannten Rallye-Fahrer Walter Röhrl verbinde ich den Begriff Popometer. Er vertrat mit dieser Wordkreation die Ansicht, sich nicht auf die Armaturen vor sich (also Drehzahlmesser und Tachometer) zu verlassen, sondern den Zustand und die Dynamik des Autos zu erfühlen – mit dem Popo eben.

Ein absoluter Profi, der sich auf sein Gespür verlässt, ja, geht das denn? Offensichtlich geht das sogar sehr gut, immerhin war er auf seinem Gebiet Weltmeister. Das Steuern des Autos beherrschte er ausgezeichnet, und natürlich nutzte er dafür alle ihm zur Verfügung stehenden Informationen. Das waren die Instruktionen seines Copiloten genauso wie Geräusche, Wahrnehmung der Fliehkraft, Absehen der Strecke, und sicher auch die Anzeige der Instrumente.

Steuern wir Vorgänge und Abläufe ebenso ganzheitlich? Manchmal wünschte ich mir, dass nicht nur die Instrumente abgelesen würden (Key Performance Indikatoren, Deckungsbeiträge, Effizienzkennzahlen etc.), sondern auch die anderen Impulse wahrgenommen und in der Planung berücksichtigt würden. Als „Copilot“ wird ein fremder Berater interviewt; das würde ein Rallye-Fahrer niemals machen, er muss mit seinem Beifahrer eine Symbiose eingehen, gleichen Risiko-Appetit haben, möglichst wie eine Person mit vier Augen agieren.

Und auch die Beobachtung des Umfeldes, Erfühlen des Zustandes der Abteilung oder gar des Unternehmens sind keine Gefühlsduselei, sondern unbedingt zu berücksichtigende Faktoren. Wer feinfühlig die „Drehzahl“ mitbekommt, verhindert ein Abwürgen genauso wie ein Überdrehen. Und das ist genauso wichtig wie auf der Piste zu bleiben und nicht im Graben zu landen.

Dienstag, 1. November 2022

Aber das kann ich doch gar nicht

Aber das kann ich doch gar nicht
Kaum hat ein Sportler das gemacht, was er kann - nämlich einen Ball über das Netz zu schlagen – muss er etwas machen, was er nicht kann – nämlich ein Interview geben. Wir alle kennen die teils lustigen, teils tragischen Ausführungen der vor das Mikrofon gezerrten Prominenten.

Doch so geht es munter auch in ganz vielen Situationen in unserem Leben. Wir nehmen eine Rolle ein und damit sind irgendwelche Erwartungen verknüpft. Mal offensichtlich, mal eher verborgen. Um beim Tennis zu bleiben: Wer in der Rolle des Profis daherkommt, von dem wird man natürlich erwarten, dass er mit Schläger und Ball gut umgehen kann. Auch Fitness und Ernährung sind Themen, die der Sportler sicher mit abdecken muss. Ein gewisses Geschick beim Durchlaufen der Leistungsstufen und Kader ist ebenfalls eine notwendige Fähigkeit. Geht man einen Schritt weiter und betrachtet die politischen und taktischen Aspekte könnte es eng werden, von möglichen juristischen und vertraglichen Punkten ganz zu schweigen.

Unbemerkt ist das im Alltag ja auch so, das beginnt ganz vorne bei der fest vorgegebenen Geschlechter-Rolle. Als Mann ist man doch prädestiniert, die Buchhaltung zu führen, Technik zu beherrschen und handwerkliches Geschick an den Tag zu legen. Frauen wiederum können von Natur aus kochen, soziale Kontakte halten und die Wohnung schmücken.

Oder auch nicht. Ich kenne ganz schön viele Männer, die keine Ikea-Küche aufgebaut bekommen. Und die Technik auch nur so lange im Griff haben, wie sie Plug-and-Play ist. Andererseits Frauen, die bei Schreibarbeit zu Hochform auflaufen, aber Spaghetti anbrennen lassen können. So viel zur landläufigen Vorsortierung von Erwartungen.

Hier heißt es zu differenzieren zwischen ungeliebter Arbeit und Überforderung. Unser Wimbledon-Sieger von 1985 wehrte sich nicht gegen die Interviews; aber nicht allein, dass sie ihm sehr schwer fielen, man machte sich auch noch lustig über ihn. Anders als der Partner, der einfach keine Lust auf körperliche Arbeit hat, war der Tennisstar einfach überfordert, weil nicht eloquent.

Neben dieser Differenzierung ist auch die Beschäftigung mit Rollenerwartungen wichtig. Die Pakete, die wir im Kopf zusammenstellen sind teilweise schwergewichtig oder verknüpfen Qualitäten, die rein gar nichts miteinander zu tun haben. Und nur, weil es Rolleninhaber gibt, die auch weit auseinanderliegende Anforderungen erfüllen können heißt es nicht, dass der Rollenzuschnitt in unserer Gedankenwelt zutreffend ist.