Mittwoch, 22. März 2023

The future's not ours to see

„Papa, wie lange fahren wir noch?“ Eine Frage, die jeder Vater früher oder später schon mal gehört hat. Heute ist die Frage ja recht leicht zu beantworten, ein Blick auf das Navi und schon kann man auf die Minute genau Auskunft geben. Egal, ob das Kind etwas mit der Antwort anfangen kann, denn das Zeitgefühl entwickelt sich erst im Laufe der Jahre.

Normalerweise geht das ganz gut, aber manchmal kommen unvorhergesehene, ja sogar unvorhersehbare Situationen dazwischen. Ein Unfall mit nachfolgender Vollsperrung der Autobahn, ein umgestürzter Baum, ein Defekt des eigenen Fahrzeugs oder eine Zwangspause, weil das Kind über Übelkeit klagt.

„Herr CEO, wie wird sich das Geschäft im kommenden Jahr entwickeln?“ Ja, bin ich denn von Kindern umgeben? Selbst wenn man einen Blick in die Geschäftszahlen und Kenngrößen wirft, kann man die Frage kaum mit einem einzelnen Satz beantworten. Da wird eine Zahl angegeben, dabei aber der Hinweis, dass es neue Geschäftsfelder gibt, dass die neuen Produkte in der Hochlaufkurve sind und überhaupt das Nearshoring. Immerhin ist mit einer sorgfältigen Analyse der Entwicklungen eine halbwegs belastbare Antwort möglich.

The future is not ours to see

Aber wir können nun mal nicht in die Zukunft schauen. Was bislang immer zutraf muss sich nicht in die Zeit fortsetzen, die vor uns liegt. Das ist die große Krux mit Hochrechnungen und allen Formen von Prognosen. Ursache hiervon ist die Komplexität unserer Welt, kleine Auslöser können den Markt durchrütteln oder sogar ein einzelnes Virus unser menschliches Leben in seinen Grundfesten erschüttern.

Konkurrenzprodukte, neue Technologien, Reputationsschäden oder Überraschungen wie das Auftreten einer Pandemie führen eine Vorhersage leicht ad absurdum. Und auf einmal schwenkt die Aufgabe der Unternehmensführung von kompliziert zu komplex. Bewährte wenn-dann-Mechanismen greifen nicht mehr, Experten (das sind die Beherrscher komplizierter Systeme) sind angesichts der nie dagewesenen Nebenbedingungen ratlos.

Und auf einmal sind Vorstände oder in anderem Zusammenhang Politiker in der Vaterrolle. Alle schauen sie erwartungsvoll an, verlangen eine Antwort. Mein Vater, der Held, der Mensch, der immer weiß, wo es lang geht. Aber er weiß es nicht, er muss – ob er will oder nicht – eine komplexe Situation handhaben. Berücksichtigung aller verfügbarer Informationen, Betrachtung der Handlungsalternativen, dann aber auch beherztes Handeln sind angesagt. Und immer wieder sorgfältige Beobachtung der Entwicklung, gerade auch der Nachbargebiete; Kurzfristige Lösungen sollten nicht zu mittelfristigen Problemen führen. Alle Kraft muss sich in diesem Moment darauf konzentrieren, die Reaktion des ganzen Systems aus Menschen, Gruppen, Markt und so weiter im Auge zu behalten und ohne Zögern gegenzusteuern, wenn man sich (gesamtheitlich) vom anvisierten Ergebnis entfernt.

Doch es gibt auch Trost: Nach jeder (im mathematischen Sinne) chaotischen Phase folgt grundsätzlich wieder eine deterministische, also vorherbestimmbare Phase. Die Steuerer – seien es Führungskräfte, Politiker oder Eltern – rühmen sich dann, die Situation in den Griff bekommen zu haben. Nun ja, aus meiner Sicht wäre die Formulierung des geschickten Überstehens in den meisten Fällen passender.

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