„Papa, wie lange fahren wir noch?“ Eine Frage, die jeder
Vater früher oder später schon mal gehört hat. Heute ist die Frage ja recht
leicht zu beantworten, ein Blick auf das Navi und schon kann man auf die Minute
genau Auskunft geben. Egal, ob das Kind etwas mit der Antwort anfangen kann,
denn das Zeitgefühl entwickelt sich erst im Laufe der Jahre.
Normalerweise geht das ganz gut, aber manchmal kommen
unvorhergesehene, ja sogar unvorhersehbare Situationen dazwischen. Ein Unfall
mit nachfolgender Vollsperrung der Autobahn, ein umgestürzter Baum, ein Defekt
des eigenen Fahrzeugs oder eine Zwangspause, weil das Kind über Übelkeit klagt.
„Herr CEO, wie wird sich das Geschäft im kommenden Jahr
entwickeln?“ Ja, bin ich denn von Kindern umgeben? Selbst wenn man einen Blick
in die Geschäftszahlen und Kenngrößen wirft, kann man die Frage kaum mit einem
einzelnen Satz beantworten. Da wird eine Zahl angegeben, dabei aber der
Hinweis, dass es neue Geschäftsfelder gibt, dass die neuen Produkte in der
Hochlaufkurve sind und überhaupt das Nearshoring. Immerhin ist mit einer
sorgfältigen Analyse der Entwicklungen eine halbwegs belastbare Antwort
möglich.
Aber wir können nun mal nicht in die Zukunft schauen. Was bislang immer zutraf muss sich nicht in die Zeit fortsetzen, die vor uns liegt. Das ist die große Krux mit Hochrechnungen und allen Formen von Prognosen. Ursache hiervon ist die Komplexität unserer Welt, kleine Auslöser können den Markt durchrütteln oder sogar ein einzelnes Virus unser menschliches Leben in seinen Grundfesten erschüttern.
Konkurrenzprodukte, neue Technologien, Reputationsschäden oder Überraschungen wie das Auftreten einer Pandemie führen eine Vorhersage leicht ad absurdum. Und auf einmal schwenkt die Aufgabe der Unternehmensführung von kompliziert zu komplex. Bewährte wenn-dann-Mechanismen greifen nicht mehr, Experten (das sind die Beherrscher komplizierter Systeme) sind angesichts der nie dagewesenen Nebenbedingungen ratlos.
Und auf einmal sind Vorstände oder in anderem Zusammenhang
Politiker in der Vaterrolle. Alle schauen sie erwartungsvoll an, verlangen eine
Antwort. Mein Vater, der Held, der Mensch, der immer weiß, wo es lang geht.
Aber er weiß es nicht, er muss – ob er will oder nicht – eine komplexe
Situation handhaben. Berücksichtigung aller verfügbarer Informationen,
Betrachtung der Handlungsalternativen, dann aber auch beherztes Handeln sind
angesagt. Und immer wieder sorgfältige Beobachtung der Entwicklung, gerade auch
der Nachbargebiete; Kurzfristige Lösungen sollten nicht zu mittelfristigen
Problemen führen. Alle Kraft muss sich in diesem Moment darauf konzentrieren,
die Reaktion des ganzen Systems aus Menschen, Gruppen, Markt und so weiter im
Auge zu behalten und ohne Zögern gegenzusteuern, wenn man sich (gesamtheitlich)
vom anvisierten Ergebnis entfernt.
Doch es gibt auch Trost: Nach jeder (im mathematischen Sinne) chaotischen Phase folgt grundsätzlich wieder eine deterministische, also vorherbestimmbare Phase. Die Steuerer – seien es Führungskräfte, Politiker oder Eltern – rühmen sich dann, die Situation in den Griff bekommen zu haben. Nun ja, aus meiner Sicht wäre die Formulierung des geschickten Überstehens in den meisten Fällen passender.
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