Mittwoch, 26. April 2023

Berührt, geführt

Berührt Geführt
Ich war überrascht, dass im spanischen Sprachraum ein Musikinstrument nicht gespielt, sondern berührt wird. Was für ein schönes Bild, denn eigentlich veranstalten wir ja kein Spiel mit dem Klangerzeuger, sondern gehen eine körperliche Interaktion mit ihm ein. Erst durch die mechanische Initiative entsteht ein Ton, mal durch Spannung einer Membran, einer Saite oder auch durch Kompression einer Luftsäule. Jedenfalls entsteht das Geräusch erst durch mein Zutun, von alleine kommt kein Ton heraus. Daneben spielt auch die Resonanz ein wichtige Rolle und mit ihr zusammenhängend die Bildung von Obertönen, die erst die Klangfarben der unterschiedlichen Instrumente hervorrufen.

Berührung ist in diesem Sinne also eine Aktion meinerseits, die zu einer Reaktion (im Falle des Musikinstrumentes ein Ton) führt. Wie ich berühren muss hängt vom Instrument ab: Ein Klavier hat Tasten, eine Geige einen Bogen, eine Trommel Stöcke und so weiter. Und was als Reaktion zurückkommt ist zwar als Frequenz messbar und kann als Note aufgeschrieben werden, ist aber unterschiedlich laut und klingt je nach Instrument anders.

Ich möchte auf gewisse Parallelen zum Umgang mit Mitmenschen, ich nenne es mal Führung (im weiteren Sinne) hinweisen. Wie in meinen Erläuterungen zum Musikinstrument muss ich den Menschen berühren, ihn abholen und mitnehmen. Das ist nicht körperlich zu verstehen, sondern im emotionalen oder argumentativen Sinne, ja sogar Drohung und Gewalt gehören prinzipiell dazu. Schlägt diese Berührung fehl, dann passiert gar nichts, es gibt keine Reaktion, entsteht keine Handlung. Und individuell ist die Empfindlichkeit für Berührungen in diesem Verständnis sehr unterschiedlich, auch die kitzligen Stellen sind bei jedem Menschen anders verteilt. In diesem Zusammenhang wird oft auch der Begriff der Motivationsknöpfe verwendet. Nichts anderes als die berührungsempfindlichen Stellen des jeweiligen Charakters.

Auch die entstehende Handlung, also die Form, der Umfang und sonstige Ausprägung ist je nach Mensch deutlich unterschiedlich. Von der verlässlichen Grundlage eines Basses bis zu den punktuellen Highlights einer Trompete ist musikalisch wie auch charakterlich alles im Spektrum enthalten.

Und schließlich noch der Hinweis, dass wir es im Leben mit Solisten, Duetten bis hin zu Bigbands und Orchestern zu tun haben. Einleuchtend, dass hier nicht eine einzige Motivation funktionieren kann, sondern jeder Mitspieler oder jedes Ensemble gezielt zur Resonanz angeregt werden muss.

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Mittwoch, 19. April 2023

So prägt es sich ein

So prägt es sich ein
Der Witz geht so: Da sitzt ein Pärchen beim romantischen Picknick, auf einmal kommen aus dem Gebüsch zwei fremde Gestalten, offensichtlich Bewohner einer fernen Galaxie mit Ohren wie Spock. Nach anfänglichem Schrecken freunden sich die beiden Paare an und in angetrunkener Laune lassen sie die Hemmungen fallen und tauschen die Partner. Einige Zeit später sind die Außerirdischen wieder verschwunden und das Menschenpaar tauscht sich über das Erlebnis aus. „Das war schon sensationell“, berichtet die Frau, „der Mann war so zierlich, aber als er an seinem linken Ohr gezogen hat, da wurde seine Männlichkeit immer dicker und mit dem rechten Ohr konnte er auch noch die Länge variieren! Und wie war es bei dir?“ – „Eher nicht so aufregend, die Frau war zwar sehr zärtlich, aber sie hat eigentlich die ganze Zeit nur an meinen Ohren herumgefummelt.“

Die bildliche Vorstellung und die Pointe dieses Witzes muss man sich nicht einbläuen, und doch prägt sich beides gut ein. Ab jetzt denkt man an Außerirdische und die Steuerung von Geschlechtsorganen, wenn man an den Ohren berührt wird. Ob man will oder nicht.

Was ist passiert? Unser Gehirn hat die Szene abgespeichert, weil sie mit Gefühlen und obendrein einer Prise Humor kombiniert war. Die erste Hürde – ist die beschriebene Situation merk-würdig? – wurde lässig überwunden und damit die Grundlage geschaffen, um in den Speicher zu gelangen. Und dort war zwischen anderen feuchtfröhlichen Späßen, Albernheiten und Absurditäten noch Platz für die dauerhafte Ablage.

Das ist sie also: Eine der Türen, um sich ohne großen Aufwand, ohne Gewalt und Mühsal Zugang zum Dauerspeicher zu verschaffen. Könnte ich mir eine Telefonnummer ähnlich gut merken? Grundsätzlich ja, Schlüssel ist nämlich die geschickte Verquickung von Daten (Ohren = Steuerorgan) mit Gefühl (Lustig, erregt). Logischerweise kann ich kein komplettes Telefonbuch in diesem Stiele auswendig lernen, aber ich kann relevante Informationen hierdurch viel schneller und besser verankern.

Denn wie bei der Pointe im Witz kommt es auf das Unerwartete, vielleicht auch abwegige an und wie im Witz oben auch auf das, was nicht gesagt, sondern der Phantasie überlassen wird (was bedeutet es denn, dass die Ufo-Frau an den Ohren herumgefummelt hat?). In jedem Fall will unser Gehirn belustigt werden, Spaß haben und den hat es, wenn es amüsant wird.

Anmerkung: Das Wort lustig ist verwandt mit Lust, einem starken Gefühl. Und wie beschrieben sind Gefühle wichtige Türöffner vom Vorzimmer der Wahrnehmung in den Besprechungsraum unserer Erfahrungs-Bibliothek.

Mittwoch, 12. April 2023

Nochmal Corona: Zusammenspiel im Team

Nochmal Corona Zusammenspiel im Team
Die ersten Wochen der hereinbrechenden Pandemie habe ich als Kombination aus Schockstarre, Experimentierlust und verzweifelte Aufbruchsstimmung erlebt. Während sich manche Menschen zurückgezogen, ja geradezu eingeigelt haben, wollten andere es jetzt erst recht wissen. Ja, Lockdown bedeutete eingeschränkte Bewegungsfreiheit, radikales Umstellen von Gewohnheiten. Aber das Leben ging trotzdem weiter und musste den neuen Randbedingungen angepasst werden. Ausprobieren von bis dato eher vernachlässigten Möglichkeiten, Zusammenrücken trotz oder gerade wegen der angeordneten Zwänge erforderte ungewohnte soziale Kooperationen. Und drittens erkannten viele Mitmenschen, dass auch in dieser Krise ein erhebliches Potential für Neuerungen lag. Nicht nur die Etablierung von Homeoffice oder der kometenhafte Aufstieg von Lieferdiensten, auch neue Optionen der Netzwerkbildung wurden etabliert.

Zu meiner Überraschung gab es aber eine erhebliche Lücke beim gemeinsamen Musizieren. Eine wirklich funktionierende Lösung für das Zusammenspiel mehrerer Musiker war weit und breit nicht zu bekommen. Mehr noch: Es gab keinerlei brauchbare Ansätze, diese Lücke zu schließen. Längst waren Telefonkonferenzen für Teilnehmer mit verschiedenen Endgeräten realisierbar, schufen eine Handvoll Plattformen die Möglichkeit, Videokonferenzen abzuhalten. Nur Proben selbst kleiner Bands konnten nicht durchgeführt werden, blieben im Experimentierstadium stecken. Tapfere Versuche erforderten unverhältnismäßig großen Aufwand, Tonspuren mussten in mühsamer Handarbeit mehr oder weniger erfolgreich zusammengeführt werden.

Jetzt liegt Corona hinter uns, die Bands können sich wieder in den Probenräumen treffen, sowohl das Üben als auch das Erlebnis der Gemeinsamkeit erreichen langsam wieder das Niveau von vor der Pandemie. Aber neben der Dankbarkeit für diese früher selbstverständlichen Punkte kann man daraus auch lernen, dass wir (zumindest bislang) bestimmte Aspekte nicht technisch adäquat lösen können. Stabil funktionierende Videokonferenzen gaukeln uns vor, dass wir nahezu die Qualität von Präsenzveranstaltungen erreicht haben. Aber wie wir bei den Musikern abschauen können gibt es neben der Ton- und Bildübertragung noch entscheidend wichtige weitere Anforderungen, die wir eben nicht abdecken. Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, was hier die entscheidende Rolle spielt. Ist es die nonverbale Kommunikation, der Augenkontakt in die Runde oder der unablässige Abgleich des Timings? So bleibt also vorerst nur, die Technik weiter zu optimieren und zu akzeptieren, dass sie sowohl für bestimmte Einsatzszenarien als auch für bestimmte Menschen ihre Grenzen hat.

Mittwoch, 5. April 2023

Sechs Wochen später

Kleiner Rückblich auf den Aschermittwoch: Gerade mal sechs Wochen war jetzt Fastenzeit, eine besondere Phase im Jahresverlauf vieler Gläubigen. In der Fastenzeit geht es auf den ersten Blick um Verzicht, ursprünglich vielleicht auf Verzicht auf Nahrung. Das setzt eine gewisse Selbstdisziplin voraus, die einige Wochen lang trainiert wird.

Etwas weiter gefasst ist in der Fastenzeit Gelegenheit, inne zu halten, Gewohnheiten zu prüfen und das eigene Verhalten auch für die Zeit nach Ende der Fastenzeit dauerhaft zu ändern. Nur so kann (insbesondere bezüglich Essen) der bekannte Jojo-Effekt vermieden werden.
Sechs Wochen später
Doch ich möchte mich mit dem Fasten, dem Innehalten, der Prüfung des Gewohnten und der Änderung der Gewohnheiten nicht nur auf Ernährung beschränken. Auch im Umgang mit den Mitmenschen, bei der Gestaltung meines Tages und bei der Leistung meiner Arbeit kann ich diesen Ansatz einbringen. Unvermeidlich schleichen sich nämlich allenthalben schlechte Gewohnheiten ein, die ich aber nur erkennen kann, wenn ich mir einen Moment der Ruhe gönne und mich sehr sorgfältig selbst beobachte. Und wie bei Reduzierung der Nahrungsmenge oder des Alkohols oder der Zigaretten ist auch in diesem Fall möglicherweise ein Verzicht unangenehm oder sogar schmerzhaft.

Sogar Aufbau- und Ablauforganisationen können den Gedanken einer Fastenzeit gut gebrauchen. Hat sich nicht möglicherweise ein Wasserkopf gebildet, sind Prozesse ausufernd geworden, ist nicht eine Straffung des Produktportfolios angesagt? Das ist – wie gesagt – möglicherweise nicht einfach und vor allem nicht ohne Widerstände zu bewerkstelligen (analog zur Entwöhnung, oder gar Entziehung).

Am Ende der Fastenzeit steht aber in jedem Fall ein Finale, im christlichen Glauben in Form eines besonderen Todes (am Karfreitag), der aber nicht endgültig ist. Vielmehr gibt es nach kurzer Phase der Konsolidierung einen Aufbruch zum Wachstum (Ostern). Auch dies gilt für umgestellte Essensgewohnheiten genauso wie für geändertes Verhalten im Umgang oder eben auch für Justierung von Prozessen und Produkten in der Wirtschaft.