Um mich herum herrscht Leben, alles ist in Bewegung, ständig
passiert irgendetwas, verändert sich, führt zu Fort- und Rückschritt. Und ich
mittendrin. Genau besehen ist sogar jeder von uns jeweils mittendrin, denn niemand
kann festlegen, wo die Ursprungskooordinaten dieses unendlichen Systems sind: „Gebt
mir einen festen Punkt und ich hebe die Welt aus den Angeln.“ (Archimedes von
Syrakus)
Genauso schwer tun wir uns mit einem Koordinatensystem unserer Gedanken- und Wertewelt. Selbst wenn es uns gelingt, mehr oder weniger nüchterne Fakten zusammenzustellen werden diese unvermittelt mit anderen Fakten ins Verhältnis gesetzt. Einzige Ausnahme sind Daten, die wir gleich den Nummern in einem Telefonbuch ohne logische Struktur nebeneinanderlegen. Aber unser Gehirn verlangt von Natur aus danach, Informationen miteinander zu verknüpfen, es ist ein Assoziativ-System. Dafür ist es (biologisch) optimiert, das kann es richtig gut.
Als Folge dieser Funktionsweise sorgt unser Denkapparat automatisch dafür, dass einfließende Informationen mit vorhandenem Wissen zusammengeführt, verglichen, eingeordnet und wenn irgendwie möglich zu einer wachsenden Struktur ergänzt werden. Dabei ist das Gehirn nicht wählerisch, es müssen nicht unbedingt Fakten sein, die zugemischt werden, auch Vermutungen oder unterbewusst verknüpfte Eigenschaften werden ohne Anmerkung mit verwendet. Wenn ich einen DHL-Paketboten gesehen habe, dann muss das Auto gelb gewesen sein, weil alle DHL-Fahrzeuge gelb sind. Das würde ich dann bei Bedarf auch vor Gericht aussagen, weil mein Gehirn ganz fest davon überzeugt ist.
Natürlich muss das nicht zwingend richtig sein, aber da hat sich mein Logikapparat selbständig gemacht ohne mich darauf hinzuweisen. Und er ergänzt ohne Umschweife auch noch, dass der beobachtete Mann eine Warenlieferung aus dem Fahrzeug zu Haustür des Nachbarn gebracht hat. Das macht einfach Sinn, findet mein Gehirn und speichert es neben den anderen ihm geläufigen Vorkommnissen. Tatsächlich war der Mann gar kein Paketbote, das Auto hatte eine rote Farbe (weil nicht von DHL), der große Karton leer für die Befüllung mit Altkleidern und sollte eigentlich zu einer anderen Adresse.
Diese kleine Geschichte demonstriert, wie wir Beobachtungen mit dem ergänzen, was wir für naheliegend halten. Manche Mitmenschen sind da sehr einfallsreich, vermuten vielleicht in jedem Paket eine Bombe, andere sind sich sicher, dass jeder Paketbote männlich ist und bei DHL arbeitet. Aber wie nüchtern und bedacht auch immer der Einzelne ist, ausnahmslos jeder Mensch macht aus einer Feststellung einen für ihn Sinn-vollen Vorgang.
Und weil das jeder macht, dabei aber mit dem Gewürzkasten seiner Erfahrungen unterschiedlich agiert, kommt individuell ein anderer Sinn heraus. So besehen müsste ich sagen: „Gib mir Deinen Sinn.“
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