Maria ist schon lange in ihrem Beruf tätig. Angefangen hat alles nach der Schule mit einer Lehre als Wäschefrau in der örtlichen Wäscherei. Sie lernte, wie man Wäsche für die verschiedenen Waschgänge sortiert, Flecken erkennt und behandelt, die richtige Temperatur und das richtige Waschmittel wählt. Mit den Jahren entwickelte Maria für alle relevanten Aspekte der Wäscherei ein gutes Gespür und so war es nicht überraschend, dass sie im Betrieb als Fachfrau gehandelt wurde. Insbesondere bei schwierigen Fällen und besonders hartnäckigen Flecken wurde sie um Rat gefragt.
Es gab natürlich keine offiziellen Schulungen, aber der Wechsel von Waschtrögen zu ersten Waschmaschinen erforderte schon ein Umdenken. Expertin zu bleiben war eine Herausforderung, die Maria aber mit Bravour meisterte. Ihr Feingefühl für die unterschiedlich einzusetzenden Waschbretter und –bürsten war nicht mehr gefragt, dafür musste sie die richtige Befüllung der großen Trommeln und das Austarieren der richtigen Drehzahl verinnerlichen. Die neue Technik erforderte mehr Denken, dafür weniger Handarbeit. Maria war jetzt nicht mehr einfache Wäschefrau, sie nannte sich jetzt Kleiderreinigungsfachangestellte.
Als die Wäscherei vom Senior zum Juniorchef übergeben wurde, kam der nächste Ruck bei der Modernisierung der eingesetzten Maschinen. Zum ersten Mal kamen jetzt Waschmaschinen in den großen Kesselraum, die über Kabel mit einem Computer verbunden waren. Vor den Trommeln wurden Fließbänder installiert und an der Wäscheabgabe sorgte eine Sortiermaschine für die Zuordnung der Wäsche. Maria brauchte sich nicht mehr um die Befüllung und auch nicht um die Steuerung der Drehzahl zu kümmern. Dafür verlangte man jetzt, dass sie sich mit Lochkarten und mit Computerprogrammen auskennen musste. Mittlerweile war sie Laundry-Managerin, aber durch ihr zunehmendes Alter (sie ging auf die Rente zu) fiel es ihr schwer, mit dem Fortschritt mitzuhalten.
Einst engagierte Einsteigerin, hochgearbeitet zur Expertin. Dann der eiserne Wille, mit der Zeit zu gehen und am Ball zu bleiben. Auch noch der Versuch, dem erheblich geänderten Berufsbild und der neuen Technik gerecht zu werden. Und schließlich die berufliche Erschöpfung, die Frustration nicht mehr gut genug zu sein und von den Entwicklungen schlichtweg überrollt zu werden.
Natürlich kann man auf Maria verzichten, schließlich hat sie zwar goldene Hände bei der Reinigung von Wäsche aber keine Ahnung von Computern. Aber sie ist eine Arbeitskraft, die man nicht einfach abschreiben darf. Bei aller Begeisterung für technischen Fortschritt dürfen wir es uns nicht zu leicht machen. Die derzeitige Veränderungsgeschwindigkeit ist so groß, dass die wenigsten Arbeitnehmer ihr Leben lang ein auch nur halbwegs konstantes Berufsbild verfolgen. Und auch mit Weiterbildung und Schulungen kann man einen Menschen, der als Handwerker eingestiegen ist nicht unbedingt zum Bediener von Computer-Maschinen umbiegen. Da brauchen wir insgesamt viel mehr Kreativität und mehr Einfallsreichtum sowohl bei den Beratern als auch bei den Führungskräften.
Und wer glaubt, dass das nur für Wäschereien gilt: Weit gefehlt. Der Innovationsdruck hat längst die meisten Branchen erreicht, zwar steigen mit den Anforderungen auch die Gehälter, aber auch die Frustrationsraten bei den zahllosen Überforderten. Und bevor sie resignieren, mental ausgelaugt und frustriert in psychische Probleme abrutschen muss sehr sorgfältig geprüft werden, ob man die (ursprüngliche) Kernkompetenz nicht anderweitig verwenden kann. Wie gesagt, das ist auch aus Sicht der Personalentwicklung ausgesprochen anspruchsvoll, lohnt sich aber.
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