Mittwoch, 22. November 2023

Dafür haben wir keinen Sensor

Ich stehe mit meinem Auto vor der roten Ampel. Kaum wird sie grün lege ich den ersten Gang ein, lasse die Kupplung los und gebe Gas. Das Auto setzt sich in Bewegung, wird langsam schneller und erreicht die erlaubten fünfzig Stundenkilometer. Ich fahre ein Stück in dieser Geschwindigkeit bis zur nächsten roten Ampel, vor der ich auf die Bremse trete und das Auto wieder zum Stillstand kommt.

Beim Warten auf grün komme ich ins Grübeln und stelle fest, dass ich für die Bewegung überhaupt keinen Sensor habe. Das Anfahren und Beschleunigen habe ich als leichten Druck in den Rücken gemerkt, die konstante Fahrt am gleichmäßigen Motorgeräusch und gelegentliche Vibration der Karosserie festgestellt und das Abbremsen als Entlastung des Rückens und Berührung des Sicherheitsgurtes.

Im eigentlichen Sinne habe ich also gar nichts gemerkt, mein Gehirn hat nur aus den verschiedenen Signalen Schlüsse gezogen und dabei ein Gemisch aus Druck auf den Rücken, den visuellen Eindrücken und wahrgenommenen Geräuschen die Phasen Beschleunigung, gleichmäßige Fortbewegung und Abbremsen unterschieden.
Dafür haben wir keinen Sensor
Immerhin hat also mein Körper unbemerkt eine Art Ersatz-Sensor geschaffen. Das ist eine tolle Leistung, durch die mein Wahrnehmungsspektrum vergrößert wird. Aber da dies unbewusst geschieht besteht natürlich auch die Gefahr, dass mir gar nicht klar wird, dass ich in diesem Zusammenhang nur etwas vorgespielt bekomme. Im Flugsimulator bekomme ich Geräusche aus Lautsprechern, Bilder auf Monitoren und durch Kippen der Kabine das Gefühl von Beschleunigung bis zum Absturz vorgegaukelt.

Dann gibt es aber auch Sensoren, die wir zwar haben, die wir aber nicht abrufen können. Ein gutes Beispiel ist der Blutdruck. Zwar wird er von unserem Körper fortlaufend gemessen, aber wir können nicht auf das Ergebnis zugreifen. Weder zu hohen noch zu niedrigen Blutdruck können wir ohne externe Messapparatur feststellen. Entsprechend liegen wir mit einer Selbsteinschätzung meist falsch und können nicht mit eventuell notwendigen Maßnahmen reagieren.

Ein besonderes Feld sind die Sensoren, die wir haben, die wir aber nicht kennen und zumindest bisher nicht erforscht haben. Wetterfühligkeit ist wenig fassbar, noch unklarer wird es bei der Beeinflussung unseres Lebens durch Mondphasen. Hier scheint unser Körper auf äußere Einflüsse zu reagieren, aber trotz intensiven Nachdenkens und der Suche nach dem Auslöser können wir den Wirkmechanismus nicht benennen. Es scheint Dinge oder allgemein Phänomene zu geben, die wir bislang nicht betrachten.

Mit diesem seltsamen Set an vorhandenen oder simulierten, bewussten oder unbewussten Sensoren steuern wir durchs Leben. Die gute Nachricht: Das scheint in der Natur in den letzten Jahrtausenden gut gelungen zu sein, wir leben ganz gut mit dieser Ausstattung. Aber wie stets in der Forschung stellt sich die Frage, ob wir nicht noch besser leben könnten, wenn wir über dieses Thema mehr wüssten. Denn im Moment gilt leider noch der Leitsatz eines bekannte Bestsellers: „Denken hilft zwar, nützt aber nichts.“

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