Wer jemals getanzt hat und das entsprechende Magazin "Der Tanzspiegel" kennt, der hat sie schon tausendfach gesehen. Die jungen Tänzer, in Pose geworfen, mit einem grimassenhaften Lächeln im Gesicht. Es gehört einfach zum guten Stil, dass man wie ein Schauspieler eine Art Freudenausdruck zur Schau bringt. Das Tanzen selbst ist eher Nebensache. In etwas abgespeckter Form erlebt man das auch in der Tanzschule. Was man ab dem Bronzekurs zu sehen bekommt, ist vielleicht noch keine hochwertige Tanzshow, aber jedenfalls breite Arme, selbstbewusste Gesten und voller Überzeugung dargebotene Figuren.
Was passiert da gerade? Diese Nachwachsenden signalisieren noch vor Erreichen einer gewissen Kompetenz, dass sie zu der Herde gehören wollen. Sie ahmen das Verhalten nach, das Auftreten, die Kleidung, auch die Sprache. Einfach alles, was sich an Äußerlichkeiten mehr oder weniger leicht adaptieren lässt. Und erarbeiten sich damit schon frühzeitig einen gewissen Stallgeruch, der sie einerseits zu einem Teil dieser Gesellschaft macht, andererseits aber auch ihren Herdentrieb signalisiert.
Was für das Tanzen gilt, können wir auch in anderen Feldern wahrnehmen. Sei es die Affinität zu einer gewissen politischen Ausrichtung, die mit hennagefärbten Haaren und Jutebeuteln nach außen getragen wird, sei es ein Vorstandsanspruch, der sich in Form der Kleidung, Golfspielen und Gesprächsthemen wie Börsennotierungen zeigt. Wie auch immer, was diese Beispiele verbindet, ist das Voraneilen der Äußerlichkeiten gegenüber dem Aufbau der eigentlichen Teamkongruenz. Oder anders formuliert dem Antritt, zur Herde zu gehören. Dabei kann diese Zugehörigkeit ein Mitlaufen sein, aber durchaus auch mit einem Führungsanspruch gekoppelt sein.
In Abgrenzung dazu gibt es Menschen, die auf Herdenzugehörigkeit gar keinen Wert legen. Sie sind deshalb nicht unbedingt Einzelgänger, können auch je nach Rolle Teil einer Gemeinschaft sein. Aber sie sind in ihrer Grundstruktur Selbstständige. In vielen Fällen füllen sie diese charakterliche Ausprägung auch im Beruf aus, machen ein eigenes Geschäft auf, gehen ihren Weg durch das (Berufs-)Leben ohne Rücksicht auf andere. Mitarbeiter sind willkommen, sind aber nicht wirklich Teil des Rudels und können nur beratend, nicht aber steuernd mitmachen.
Ein besonderes Spannungsfeld kann man in Familienbetrieben beobachten. Typischerweise hat der Senior den Betrieb (als Selbstständiger) gegründet und entwickelt. Und nun rückt ihm eines seiner Kinder nach. Vom Erbgut, dem erlebten Leben und der Erziehung her ist dieses Kind mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch vom Typ Selbstständiger, muss sich aber jetzt zur Zusammenarbeit mit den Eltern in eine Art Herde begeben. Und damit gibt es einen vorprogrammierten inneren (Rollen-)Konflikt.
Und auch in vielen Alltagssituationen wirkt sich dieser grundlegend unterschiedliche Charakter aus. Wer zu einer Gruppe dazugehören will, nimmt ja nicht nur deren Rituale an, redet in deren Sprache und sucht bestimmte Orte auf. Er ordnet bei Bedarf seine eigenen Bedürfnisse und manchmal auch die Bedürfnisse der Umgebung seinem Ziel unter. Da gibt es keine Diskussion, dass die Freundin auch mit zu einer politischen Versammlung, einem Sportevent oder einem Galadinner geht.
Das kann mit dem Selbstständigen auch passieren, allerdings aus ganz anderen Gründen. Er hat das in seiner Welt entschieden, hält es für die einzig richtige Lösung und setzt diese notfalls auch gegen den Willen seiner Mitmenschen durch. Die Herde spielt für ihn nun mal keine Rolle, wer mit ihm geht ist willkommen, wer nicht mitgeht lässt es halt.
Unter dem Strich ist es jedenfalls hilfreich, sich selbst, seine Partner und Familienangehörige, Mitarbeiter und alle möglichen anderen Wegbegleiter in dieser Hinsicht richtig einzuschätzen. Denn es macht wie in den Beispielen gezeigt bestimmtes Verhalten vorhersehbar.
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