In ihrer Grundkonstruktion haben Reifen zwei Aufgaben. Sie sollen die Kraft es Motors auf die Straße bringen (Traktion), also für Fortbewegung sorgen. Und ebenso müssen sie dafür sorgen, dass wir in der gewünschten Richtung unterwegs sind (Seitenführung).
Nun sind diese beiden Anforderungen nicht unabhängig voneinander. Wer mal eine Vollbremsung ohne ABS machen musste weiß, dass bei blockierenden Reifen keine Lenkbewegung mehr angenommen wird – das Auto rutscht in Bewegungsrichtung vorwärts. In dieser Situation ist die Traktion maximal, die Seitenführung allerdings Null.
Im gegenteiligen Fall einer scharfen Kurvenfahrt ist zwar die Seitenführung unter Last, aber eine Beschleunigung oder Bremsen ist nicht möglich. Jedenfalls quietschen auch hier die Reifen.
Was kann man tun, um das zu optimieren? Einerseits kann man die Fahrbahn verbessern. Ebene Flächen mit dauerhaftem (möglichst konstanten) Kontakt zum Reifengummi oder griffige Asphaltflächen sind ein guter Ansatz. Andererseits kann man die Zusammensetzung der Reifen sowohl hinsichtlich innerem Aufbau als auch der Gummimischung und der Profilierung anpassen.
Jedenfalls haben die beiden Grundeigenschaften je nach Randbedingungen ihre Grenzen. Bei Regen gehen die erreichbaren Werte für Traktion und Seitenführung deutlich zurück, bei Glatteis können sie bis auf Null reduziert sein. Aber auch Hitze beeinflusst die Haftung, wer Winterreifen im Sommer fährt kennt dieses Phänomen.
Kurzer Blick rüber in die Strategie von Unternehmen. Brauchen wir die maximale Traktion, dann ist eine Richtungsänderung nicht empfehlenswert. Mehr noch, unter diesen Umständen ist eine Beeinflussung nicht möglich. Versucht man in solch einer Phase, neben scharfer Beschleunigung auch noch Umstrukturierungen oder Portfolioanpassungen durchzuführen, ist die Gefahr des Scheiterns ausgesprochen hoch. Ist eine Neupositionierung, gar eine strategische Neuausrichtung angesagt, dann ist wiederum eine überstürzte Prozessoptimierung und Produktivitätssteigerung kontraindiziert.
Die Kombination dieser beiden Änderungswünsche (Geschwindigkeit bzw. Richtung) ist nur eingeschränkt möglich – eine Einsicht, die nach meiner Beobachtung in der Praxis leider oft fehlt.
Und auch die Analogie mit dem Glatteis lässt sich sehr schön herstellen. Ist die Beeinflussbarkeit stark reduziert, das Unternehmen also kaum manövrierfähig, dann Finger weg von jeglicher Strategieänderung, Kurs fortsetzen und darauf hoffen, dass der Markt keine Eskapaden macht. Denn in dem Fall hilft es nur noch den Sicherheitsgurt festzuziehen, auf besseren Gripp zu waren oder den Aufprall vorzubereiten, sprich das Unternehmen in seiner bisherigen Form aufzulösen.
Auf die Betrachtung der Einflussnahme auf die Kunden bzw. den Markt (Optimierung der Straße), die Relevanz der Personalstruktur (Gummimischung), der Unternehmenskultur (innerer Aufbau) und die Präsentation am Markt (Profilierung) möchte ich nicht im Detail eingehen.
Bemerkenswert finde ich allerdings, dass die Reifenindustrie eine ausgeprägte Forschung und Entwicklung betreibt. Branchen mit viel „spannenderen“ Produkten überlassen dieses wichtige Feld aber externen Beratern oder legen gar keine Priorität auf diese Themen. Was dazu führt, dass viel Potential verschwendet und die Erfahrung anderer Branchen nicht im möglichen Umfang genutzt wird.
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