Heute war wieder Tag der Wiedervorlage. Eigentlich nicht nur heute, sondern auch gestern. Und vorgestern, vorvorgestern etc. Aus dem Modus, Anfragen, verschickte E-Mails, erteilte Aufträge gedanklich abzuhaken bin ich schon vor vielen Jahren ausgestiegen. Wenn mein Anliegen nicht ad hoc gelöst wird mache ich mir eine Notiz in einer Excel-Liste und halte diesen Vorgang in Erinnerung, bis er vollständig erledigt ist.
Dabei ist die Vielzahl der Begründungen beeindruckend. Mal ist es die vorgeblich hohe Arbeitslast, mal ist ein Kollege krank, hat Urlaub, kann die Unterlagen nicht finden oder fühlt sich nicht zuständig. Oder noch viel einfacher: Antwortet einfach gar nicht. Geht nicht ans Telefon, reagiert nicht auf Nachrichten auf dem Anrufbeantworter. Erreicht man zufällig einen Kollegen berichtet dieser freudestrahlend, dass der gewünschte Gesprächspartner da ist, er könne ihn drüben am Platz sitzen sehen. Ja, warum geht er dann bei mir nicht ans Telefon?
Was bis vor Corona ein Einzelfall war, ist inzwischen gängige Praxis. In der Übergangszeit haben wir standardmäßig den Hinweis auf das alles lähmende Virus gehört, dann kam ein erhöhter (Langzeit-) Krankenstand, gefolgt vom anscheinend allgegenwärtigen Fachkräftemangel. Keine Hotline, die ausreichend besetzt ist, kein Arzt, der nicht Opfer einer löchrigen Personaldecke ist. Und bei der Gelegenheit sind wir behutsam an die neue Welt herangeführt worden, erwarten eigentlich gar nicht mehr, dass wir direkt den gewünschten Kontakt einleiten können oder unser Anliegen problemfrei bearbeitet bekommen.
Im Kern scheint also eine Kombination aus verschiedenen Ursachen verantwortlich zu sein. Basis sind die bereits erwähnten Randbedingungen wie Personalengpass oder Krankheiten. Hinzu kommt aber auch eine sukzessive veränderte Haltung zur Arbeit. In Deckung der faktischen Unkündbarkeit gibt es keinen Grund, sich für die Arbeit über die Pflicht hinaus zu engagieren. Aus Bequemlichkeit nicht ans Telefon zu gehen hat keine negativen Konsequenzen, wer trotzdem den Hörer abnimmt ist selbst schuld - schön blöd!
Und drittens fehlt oft die persönliche Seite des Arbeitsverhältnisses. So wie Ehen im Laufe der letzten Jahrzehnte verstärkt zu mehr oder weniger lockeren Beziehungen mit offener Laufzeit übergehen, so verschiebt sich eine innere Loyalität und intrinsische Bindung an einen Arbeitsplatz immer stärker in Richtung vorübergehender Job mit möglichst attraktivem Vorruhestandsmodell. Sowohl der private als auch der berufliche Schwenk findet seine Wurzel in einer verstärkten Fokussierung auf die eigenen Interessen. Verbindlichkeit hat etwas mit (selbstauferlegten) Pflichten zu tun, Work-Life-Balance ist eine Forderung an "Work", nicht an "Life".
Was tun? Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht. Versucht man in diesem Umfeld selbst Zuverlässigkeit an den Tag zu legen, so wird man zum Reibeplätzchen zwischen eigenem Anspruch und Egal-Mentalität der erforderlichen Mitspieler. Uneingeschränkt mitmachen und sich der latenten Arbeits- oder Kommunikationsverweigerung anzuschließen ist aber auch keine Option. So spart man vielleicht hier und da ein wenig Nerven, aber voran kommt man deshalb noch lange nicht. Also doch geduldig weiter die Excel-Liste pflegen, noch-noch-nochmal anrufen, freundlich aber bestimmt seine Sache weiterverfolgen und hartnäckig dranbleiben.
Vielleicht hilft ein Blick zum Fußballspiel. Wenn das Ziel darin besteht, den Ball ins Tor zu bekommen, muss man ja auch am Torwart vorbeispielen. Und davor den einen oder anderen Spieler umgehen, der einem im Weg steht. Kein Mensch würde sich darüber aufregen, dass die Abwehrspieler es sich zur Aufgabe gemacht haben, die freie Schussbahn zu blockieren. Und so muss man sich ja nicht unbedingt über den Angestellten in der Behörde aufregen, der die Verhinderung des Fortschritts zwar nicht als Ziel definiert hat, aber vielleicht mehr oder weniger zufällig gerade im Weg steht. Da heißt es dribbeln und dran vorbeispielen oder den Ball an jemanden abgeben, der ein besseres Schussfeld hat.
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