Mittwoch, 26. November 2025

So viel Innovation jetzt auch wieder nicht!

Es muss wohl in der dritte Klasse gewesen sein, als meine damalige Lehrerin für Rechnen mal wieder unzufrieden war, wie ich meine Hausaufgaben gemacht hatte. Nicht, dass ich verkehrte Lösungen angegeben, Punkte übersehen oder gar Aufgaben ausgelassen hätte. Nein, ihre Kritik bezog sich auf den Lösungsweg, den ich gewählt hatte. Er entsprach nicht dem Pfad, den sie der Klasse an der Tafel vorgeführt und zur Einübung in den Hausaufgaben erwartet hatte.

Die ersten Teilaufgaben rechnete ich wie gewünscht, danach fiel mir eine Abkürzung oder ein anderer Weg ein, den ich dann munter bei den restlichen Aufgaben anwendete. Zum Teil unter Ausnutzung von Regeln, die ich erst viel später im Gymnasium offiziell kennenlernte. So geht es natürlich nicht, der Verdacht lag nahe, dass eine andere Person meine Aufgaben erledigt, mir die Arbeit abgenommen hatte. Doch auch bei inquisitorischer Befragung erläuterte ich ihr meinen Ansatz und sie kam nicht umhin, immerhin die richtige Lösung zu akzeptieren, den von der Vorgabe abweichenden Weg jedoch scharf zu reglementieren.

Das war für mich eine Überraschung, war doch das Ergebnis durchaus korrekt und es wollte nicht in meinen Kopf, warum die Lehrerin nicht verstand, dass es nach meinem Verfahren viel schneller, vielleicht sogar fehlerärmer ging. Ihr Argument mit dem Verweis auf meine Verweigerung der aus meiner Sicht umständlichen Vorgabe verfing einfach nicht. Zur Strafe für meine Uneinsichtigkeit erhielt ich einen Eintrag in mein Hausaufgabenheft ("Mathe wirst du nie können") und musste nachsitzen.

Bemerkenswert finde ich, wie ich diese Szene über die Jahrzehnte in wechselndem Licht sehe. Damals bekam ich Gott sei Dank Rückendeckung von meinen Eltern und auch von meinem Klassenlehrer, der mir beim Nachsitzen Knobelaufgaben vorlegte, was mir viel Spaß machte. Ich war nur in der Zwickmühle, denn die Lehrerin war eine Respektperson für mich und ihren Aussagen und Anweisungen wollte ich ja nicht widersprechen. Andererseits keimten Zweifel in mir, ob sie wirklich so kompetent war, wie sie vorgab. Dass sie natürlich in ihrer Rolle auch die restlichen Kinder mitnehmen musste und mich nicht als Maßstab verwenden konnte, war für mein kindliches Gehirn nicht begreiflich.

In späteren Jahren war es eher eine lustige Anekdote. Vor dem Hintergrund eines Studiums der Physik und der Mathematik war die Aussage der Frau eine Lachnummer, die bei diversen Gelegenheiten zum Besten gegeben wurde. Auch mein altes Heft kam von Zeit zu Zeit ans Tageslicht, der Eintrag wurde bei einem Schluck Wein begutachtet, sorgte für reichlich Heiterkeit und der Einschätzung, dass die Rechen-Lehrerin nicht gerade Weitblick bewiesen hatte.

Doch heute füge ich eine weitere Sichtweise hinzu. Natürlich hat die Frau erkannt, dass ich ihr zumindest in ihrem Feld weit überlegen, wenn auch noch viel ungebildeter war. Konfrontiert mit dieser Situation wehrte sie sich, indem sie mich kleinhalten wollte, mich beleidigte und mit Gewalt zurückdrängte. Ihr fehlte nicht der Weitblick, sondern die Größe, diese über das Niveau der anderen Kinder und - schlimmer noch - ihr eigenes Niveau herausragende Begabung anzuerkennen und zu fördern.

So viel Innovation jetzt auch wieder nicht

Und einen weiteren Punkt erkenne ich heute mehr denn je. Innovation, Prozessverbesserung und Abweichung von eingetrampelten Wegen sind ein schwieriges Feld. Es ist eine Aufgabe der Lehrer, Wissen zu vermitteln und Kinder individuell in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Diesen Anspruch vertreten sie auch öffentlich in aller Deutlichkeit. In der Praxis sieht es dann vielleicht anders aus. Da werden allzu wissbegierige Kinder auf Normalgeschwindigkeit gebremst, das Lehrkonzept störende Schüler ruhiggestellt.

Ähnlich dann auch später im beruflichen Kontext. Natürlich, da sind sich die Unternehmen einig, natürlich brauchen wir Fortschritt und kreative Köpfe, um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Doch wie es bei Loriot heißt: "Das wird mir jetzt alles ein bisschen viel" und so erhielt ich dieser Tage auf einen ziemlich einfallsreichen Vorschlag die Antwort ... „das halte ich (bei aller Wertschätzung für Kreativität) für keine gute Idee“.

Kreativität ja, aber doch nicht gleich so viel. Ein Glück, dass mir mein Gegenüber nichts ins Klassenheft schreiben konnte. Vielleicht hätte er geschrieben "Innovation wirst du nie können."

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