Mittwoch, 27. März 2024

Ich kann in die Zukunft sehen

Gar nicht so selten stelle ich fest, dass ich die Entwicklung oder eine gerade eingetretene Situation schon vorhergesehen habe. Das liegt weniger an meinen prophetischen Fähigkeiten, auch meine Erfahrung spielt oft eine eher untergeordnete Rolle. Nein, es sind Abläufe, die von der Logik her kaum anders zu erwarten sind.

Ich kann in die Zukunft sehen

Wenn ich auf der Autobahn fahre, sagen wir mal auf der linken Spur, Tempo 140. Auf der rechten Spur immer mal wieder ein Lastwagen und da vorne, da ist ein PKW hinter einem LKW unterwegs. Dieser PKW fährt deutlich schneller als der Lastwagen und nähert sich ihm entsprechend, ist allerdings andererseits auch langsamer als ich. Absehbar wird er in wenigen Augenblicken mit mehr oder weniger Vorlauf, eventuell ohne zu Blinken und vermutlich ohne vorher auf meine Geschwindigkeit zu beschleunigen auf die linke Spur wechseln und mich hierdurch zum Abbremsen zwingen. Vorausschauend reduziere ich also schon mal meine Geschwindigkeit oder bin zumindest bremsbereit.

War das Hexenwerk? Sicher nicht, und diese ziemlich offensichtliche Szene steht stellvertretend für unzählige Gelegenheiten im Alltag. Ob ich mit meiner Zukunftseinschätzung unfallvermeidend unterwegs bin oder mehr oder weniger aggressiv einen potentiellen Unfall in Kauf nehme, ist natürlich noch mal eine andere Sache. Aber absehbar ist der weitere Verlauf in vielen Fällen schon.

Das gilt auch für große Themen wie Klimawandel oder Umweltverschmutzung. Angesichts der Untersuchungen und vielfältigen Studien kann niemand sagen, dass er nichts davon gehört hätte. Sicher kann man dabei problemlos den Kopf in den Sand stecken und die bereits eintretenden Konsequenzen ignorieren. Aber letztlich ändert das nichts an dem fortschreitenden Verlauf, also im oben gezeichneten Bild daran, dass der andere PKW auf meine Spur wechselt und ich bremsen muss. Was ich jedoch beeinflussen kann: Ob es eine kontrollierte Geschwindigkeitsverringerung ist oder in eine Notbremsung oder gar in einen Unfall ausartet.

Augen auf also, auch wenn man nicht jeden Konflikt oder jedes Problem vermeiden will. Hier geht es darum, für den weiteren Verlauf gerüstet zu sein und nicht nachher sagen zu müssen: „Damit habe ich nicht gerechnet.“ Oder: „Woher hätte ich das wissen sollen, ich bin doch kein Hellseher.“ Doch, sage ich - in gewisser Weise können wir alle in die Zukunft sehen, wir müssen nur die Fakten betrachten und die am wahrscheinlichsten eintretende Entwicklung für unsere eigene Handlung berücksichtigen.

Mittwoch, 20. März 2024

So geht Recycling

Mutter Natur ist uns ein konkurrenzlos gutes Vorbild. Da gibt es nichts, was nicht nach Gebrauch direkt wiederverwendet oder umgebaut für andere Zwecke eingesetzt wird. Schon als Schüler haben wir den Wasserkreislauf kennengelernt, wie die Wassermoleküle mal als Regen, mal als Nährstofftransporteur in den Pflanzen, mal als Flüsse und Meere ihren Dienst tun. Sicher ist es interessant, einen solchen Wassertropfen mal ein paar Jahre zu begleiten.

Aber auch beim geänderten Weiterverwenden ist die Natur meisterlich. Was alles aus einem verbrauchten Menschen gemacht werden kann: Wir zerfallen zu Erde, düngen mit unseren Überresten den Boden, dienen manchen Bodenbewohnern als Nahrung und können bis zum letzten Molekül weiterverwendet werden. Nichts ist „Restmüll“.

Dieses echte Recycling, also den Kreislauf aller Materie, praktiziert die Natur seit vielen Tausenden von Jahren. Dagegen sind unsere Versuche, produzierten Gegenständen ein weiteres – vielleicht verändertes – Leben zu spendieren geradezu kümmerlich.

Wie macht sie, unsere Mutter Natur, das nur? Schon bei der Produktion wird (implizit) berücksichtigt, was nach Gebrauch daraus wird oder wie die weitere Verwendung aussehen könnte. Ein Wurm beispielsweise könnte einerseits als Nahrung für einen Vogel dienen, andererseits aber auch in der Erde zerfallen und im Rahmen seiner Verwesung wieder Energie für Pflanzen oder andere Tiere liefern.

Und es gibt den Begriff der Nahrungskette, Lebewesen dienen der Reihe nach anderen Lebewesen als Ernährung. Am Ende steht entweder ein weiteres Gefressen-werden oder die Verwertung durch Verdauung (und letztlich Düngung durch die Exkremente). Ein wichtiger Aspekt hierbei, dass diese Form des Recycling über Artengrenzen hinweg gestaltet ist.

Wie toll ist das, was uns die Natur vorlebt. Analog müssten wir jedes Handy in seine elektronischen Bauteile zerlegen, Widerstände und Kondensatoren in einem anderen Device verwenden und die Chips umprogrammieren. Spätestens hier wird es jedoch schwierig, sind doch die Integrierten Schaltkreise speziell für eine bestimmte Aufgabe produziert und nicht in anderem Zusammenhang einsetzbar. Auch kann man sie nicht mehr sinnvoll in Bestandteile zerlegen, die metallischen Beinchen einschmelzen, den Kunststoffkörper neu benutzen. Also als Ganzes in den Restmüll.

Hier liegt ein Problem begraben. Für die von Menschen künstlich produzierten Gegenstände hält die Natur keinen Verwertungsmechanismus bereit. Und wir Menschen erforschen zwar engagiert die Herstellung, kümmern uns aber traditionell nicht um das Leben nach dem Leben. Drastisch erleben wir das im Zusammenhang mit der Nutzung von Kernenergie, bei der die finale Entsorgung bis heute nicht zufriedenstellend geklärt ist; Und dennoch wird weiter strahlender Atommüll produziert. In weniger dramatischem Maßstab, aber im Grunde ähnlich kurz gedacht ist unser heutiger Umgang mit Kunststoffen. Wie kritisch deren Verwendung ist stellt sich allmählich heraus, wenn wir die zunehmende Akkumulation von Mikroplastik in den Ozeanen betrachten.

Ohne Aufwand kann man noch viele weitere Beispiele finden. Aber egal, was es ist, egal wofür etwas von Menschen hergestellt wird – heute schon an morgen denken ist das Gebot (nicht nur dieser Stunde).

Mittwoch, 13. März 2024

Fake News

Die Geschichte der zutreffenden oder falschen Nachrichten ist so alt wie die Menschheit. Sicher hat schon in der Steinzeit die Information über den Kampf zwischen dem Braunbär und dem Jäger aus der Nachbarhöhle die Runde gemacht. Dabei war es gar kein Braunbär, sondern ein Waschbär, der sich bis in den Höhleneingang vorgewagt hatte. Ob es ein Kommunikationsfehler oder Angeberei war lässt sich nicht mehr rekonstruieren, aber ganz eindeutig war es eine Falschmeldung.

Fake News
Und so ging das natürlich weiter. Mal ging ein wichtiges Detail versehentlich verloren, mal war es ein Übersetzungsfehler, ein falsch verstandenes Wort oder eine schrittweise Veränderung, wie wir sie vom Kinderspiel „Stille Post“ kennen. Es gibt genügend Gelegenheiten, bei denen sich eine Nachricht verändert, verkürzt oder ausgeschmückt wird, ihren Charakter ändert oder durch eine Ungeschicklichkeit sogar ins Gegenteil verkehrt.

Daneben verläuft die absichtliche Veränderung, die Manipulation, Einfärbung oder gewünschte Meinungsbeeinflussung mit taktischen Komponenten. Aus dem Verständnis, dass Informationen das Grundgerüst unserer Meinungsbildung und die Basis unserer Entscheidungen sind, wurde schon immer viel Wert darauf gelegt, diesen wichtigen Faktor sorgfältig zu steuern. Der Begriff Bundesnachrichtendienst oder auch die Einrichtung ganzer Kommunikationsabteilungen in großen Unternehmen zeugen von der Wichtigkeit für den Umgang miteinander und die Steuerung von Menschengruppen.

Abgesehen von unbeabsichtigter und beabsichtigter Veränderung gibt es noch die Informationsvielfalt, die eine verbindliche Sachkenntnis zu einem Thema unmöglich macht. Steigt man zu einem beliebigen Thema, sagen wir mal Blutzuckerrelevanz von Süßstoff, in die Recherche ein, so wird man dazu tausende von Artikeln im Internet finden. In zahlreichen Newsgroups werden mehr oder weniger sachliche Debatten geführt, wissenschaftliche Studien zitiert und das alles mit Glaubenssätzen ergänzt. Gelingt es, an die Primärquellen heranzukommen, so gibt es aber auch dort widersprüchliche Forschungsergebnisse, eine eindeutige („richtige“) Linie ist nicht zu entdecken.

Wen wundert es dann, wenn er bei der technisch unterstützten Suche keine belastbaren Antworten auf seine Fragen findet? In einer Gemengelage aus zutreffenden Fakten, interessensorientierten Halbwahrheiten, wissenschaftlich unausgegorenen Studien, voreiligen Schlüssen und starrsinnigen Behauptungen können weder Google noch ChatGPT weiterhelfen. 

Übrigens finden wir die Schwierigkeit der Nachprüfung von Fake News auch in der Bibel. Die Geschichte vom ungläubigen Thomas (Joh 20,19–29) zeugt vom Versuch, den Wahrheitsgehalt einer Nachricht nachzuprüfen. Damit schließt sich der Kreis zum Anfang dieses Gedankenablaufs, der mit der These der Untrennbarkeit von Nachrichten und Fake News eingestiegen war.

Mittwoch, 6. März 2024

Auch Kunstwerke bestehen aus Atomen

Ich habe einmal gehört, dass gute Kameraleute einen Film nicht als Fortlauf, sondern als Aneinanderreihung von Fotos sehen. Jede Szene, ja jede Einstellung wird dabei nicht etwa im Sinne eines Videos aufgenommen, sondern als Stillleben mit Bewegung, als Abfolge von Porträts. Bei Betrachtung großer Kinofilme kann man das sehr gut beobachten, Landschaftsaufnahmen, Architekturen oder Statisten sind bedacht arrangiert, betont oder zurückgenommen, mit den üblichen Mitteln der Fotografie.

Ähnliche Mechanismen sehe ich auch in der Malerei, wo große Bilder im Idealfall aus kleineren Elementen zusammengesetzt sind, jedes für sich ein kleines Werk, aber eben komponiert und arrangiert zum Gesamtwerk. Das bedeutet nicht, dass jedes Detail ausgearbeitet sein muss, vielmehr darf es ja dem eigentlich zu präsentierenden Bildinhalt nicht den Rang ablaufen.

Und schließlich – mein Heimatgebiet – gilt es in besonderem Maße auch bei Literatur. Ein Roman besteht aus einer großen Anzahl an Szenen, Beschreibungen von Figuren, Räumen oder Umgebungen. Jeder neue Aufzug muss wie in einer Kurzgeschichte ausgearbeitet werden. Wie beim Gemälde darf es den Handlungsverlauf nicht stören, nur eventuell wie eine Arie in der Oper kurz den Fortlauf unterbrechen, um den Leser auf der Gedankenreise nicht zu verlieren.

Doch leider erlebt man in diesen oder anderen Kunstformen, dass dieses Verständnis der Atomisierung nicht vorhanden ist. Da wird drauflosgefilmt, alles bewegt sich (wie zu Stummfilmzeiten), als ob der Zuschauer selbst in einer Achterbahn säße. Gemälde sind wild zusammengepinselt, auf Feinheiten oder kontrollierte Komposition wurde verzichtet, das soll der Betrachter dann in seinem Kopf irgendwie sortieren und wieder zusammenbauen.

Ja und beim Lesen kommt es offensichtlich gar nicht darauf an, dass der Rezipient die Sprachbilder in seinem Kopf ausmalen kann, dass er in der wörtlichen Rede eine Sprache wiederfindet, die er auch aus dem Alltag kennt. Kleine Ungereimtheiten soll er in Kauf nehmen, ist doch die Handlung spannend und der Plot so verworren, dass er sein Gehirn mit anderen Aufgaben beschäftigen muss.

Manchmal verwechseln Künstler den bewussten Verzicht auf Detaillierung mit dem schlampigen Hinwerfen von Unfertigem, kürzen Beschreibungen und sparen sich die Zeit, an Formulierungen und Darstellungen zu feilen. Das ist dann ein Sie-wissen-schon-was-ich-meine anstelle einer Handreichung für das gemeinsame Erreichen der gedanklichen Ausarbeitung. Im Sinne des Slogans „Bauhaus – wenn’s gut werden soll“ empfiehlt sich jedenfalls die bewusste Erstellung von Werken aus Grundbestandteilen – den Atomen nämlich.

Mittwoch, 28. Februar 2024

Routenplanung für Projekte

Fahrertür auf, einsteigen, Motor starten. Und wo soll die Reise diesmal hingehen? Ich bin in einem kleinen Ort im Taunus und möchte gerne zu einem Ort in der Nähe von Fulda. Grundsätzlich kein Problem, aber die optimale Route ist doch einen Gedanken wert.

Würde ich zu Fuß nach Eiterfeld gehen, könnte ich den direkten Weg nehmen. Über Stock und Stein, mal abgesehen von irgendwelchen Hindernissen im Wesentlichen immer geradeaus. Das ist nicht gerade meine bevorzugte Fortbewegung, 129 km wären zu bewältigen, da wäre ich ohne Pause wohl mehr als einen ganzen Tag unterwegs.

Alternativ könnte ich diese Route wählen, allerdings mit einem Panzer zurücklegen. Der schert sich nicht um Hindernisse, ähnlich wie der Fußmarsch immer geradeaus, nur viel schneller. So zwischen zwei und drei Stunden Tour, aber eine Schneise der Verwüstung hinterlassend.

Oder ein Flugzeug. Das könnte auch den direkten Weg wählen, aber am Boden würde nichts kaputt gehen. Reisezeit nur noch knapp eine Stunde. Aber wer hat schon ein Flugzeug.

Also doch mit dem Auto. Ich muss einen recht großen Bogen fahren, weil ich die vorhandenen Straßen nutzen muss, querfeldein geht natürlich nicht. Hierdurch komme ich auf 190 km und brauche wieder rund zwei Stunden wie bei der Panzerfahrt, habe aber nichts kaputtgemacht.

Schließlich und am aufwändigsten wäre der Bau einer neuen Autotrasse für den Weg von A nach B. Das könnte sich sogar lohnen, wenn es genügend andere Interessenten für diesen Weg gäbe, ich die notwendige Vorlaufzeit akzeptiere und sich der neue Autoweg gut in das Verkehrswegenetz integrieren ließe.

Routenplanung für Projekte

Nun möchte ich den Blick auf Projektplanung werfen, also die Organisation und Planung von individuellen und einmaligen Vorgängen, bei denen ich wie bei dem Ortswechsel eine Ausgangsposition und eine Zielposition habe.

Und da fällt mir auf, dass manche Projektleiter agieren wie Fußgänger oder Panzer oder der Meinung sind, dass sie ein Flugzeug hätten. Oder erst den Weg asphaltieren, den sie dann aber nur ein einziges Mal befahren.

Eine viel bessere Alternative ist die Nutzung der bereits bestehenden Möglichkeiten. Das mag im Einzelfall komplizierter erscheinen, hat aber den Charme eines etablierten Verkehrswegenetzes. Ich nutze hierfür in meinem Projekt die vorhandenen Prozesse, nur dass ich sie individuell für meine Bedarfe anpasse und – das ist das Ungewohnte – Umwege bewusst in Kauf nehme.

Die gewünschte Datenleitung existiert nicht: Dann route ich meine Daten erst mal über die bestehenden Leitungen, möglicherweise mit Zwischenstationen. Die angepeilte Organisationsstruktur ist nicht vorhanden: Dann nutze ich die bestehenden Organisationseinheiten, passe die Aufgaben an und ziehe die endgültigen Änderungen bei Bedarf später nach. Oder ich nutze eingeführte Software für meine Zwecke, auch wenn die Anforderungen von ihr nicht vollumfänglich abgedeckt werden.

Manchmal spricht man davon, dass man „um die Ecke denken“ müsse. Das ist ein schönes Bild, das eben auch für Projektplanung zutrifft. Den direkten Weg zu gehen und ungeachtet der aktuellen Randbedingungen zu planen entspricht in Etwa der Panzerfahrt. Recht schnell am Ziel, aber mit vielen Kollateralschäden. Um das zu vermeiden kann man sein Projekt tatsächlich mal als Landkarte darstellen, die betroffenen Prozesse, Tools, Datenströme und Ressourcen aufmalen und dann im Sinne einer Navigationssoftware die kürzeste oder wirtschaftlichste Route zwischen die Anfangs- und Endpunkten bestimmen.

Mittwoch, 21. Februar 2024

Betriebswirte fordern Gedichte

Absolut zu Recht sind Betriebswirte Fans von funktionierenden Abläufen, wenn es geht sollen sie auch noch mit geringstmöglichem Aufwand sichergestellt werden. Überflüssige Arbeit soll identifiziert und auf ein Minimum reduziert werden. Was für die Produktion unbedingt erforderlich ist, sollte ohne Schnörkel daherkommen. Minimaler Einsatz, maximaler Effekt.
Betriebswirte fordern Gedichte
Da denke ich spontan an Gedichte. Diese hochkomprimierte Form der Darstellung kennt auch keine Schnörkel, überflüssige Beschreibungen werden einfach weggelassen. Sie sind die kürzest mögliche Abfolge von Aussagen, der Kit zwischen den Versen wird vom Kopf des Lesers ergänzt. Werden in Romanen manche Szenen ausführlich beschrieben, reichen hier wenige Zeilen, um ein vergleichbares Bild zu erzeugen.

Manchmal wünsche ich mir, dass Kommunikation in Unternehmen auch diesem Grundsatz nachkäme. Weniger Worte; die aber mit Bedacht gewählt. Der Leser soll mitdenken, aber er wird nicht mit langatmigen Vorgeschichten und längst verworfenen Alternativlösungen gelangweilt. Vielmehr vermittelt der Autor die gewünschte Botschaft in dürren Worten, die er vielleicht sogar in Reimform bringt – das prägt sich ein.

Mittwoch, 14. Februar 2024

Künstliche Intelligenz ist unter uns

Künstliche Intelligenz ist unter uns

Ob wir nun aufmerksam durch die Welt laufen oder ein wenig verträumt vor uns hinleben: Sofern wir nicht in stiller Meditation im Kloster oder auf einer nicht erschlossenen Insel sind, werden wir von den Auswirkungen Künstlicher Intelligenz umgeben. Das beginnt bei eher offensichtlichen Aspekten wie klugen Suchmaschinen im Internet, geht in personalisierter Werbung und Produktempfehlungen weiter und äußert sich auch für Computer-averse Zeitgenossen in der Produktpräsentation im Ladenlokal.

Die Künstliche Intelligenz ist also allgegenwärtig und sie kann alles. „Wir fliegen zum Mond“ habe ich noch im Ohr, das war Ende der 1960er Jahre, morgen der Mond, übermorgen das Weltall. Aber wir sind nicht zum Mond geflogen, höchstens ein paar Astronauten haben die lange Reise nach intensiver Vorbereitung auf sich genommen. Die allermeisten Menschen haben den Erdboden nicht verlassen. Und die Sache mit dem Weltall haben wir auch nicht so ganz gelöst.

Aber das neue Thema ist bei uns angekommen. Es ist keine Science Fiction, es ist auch kein elitäres Ding und man muss auch keine besonderen körperlichen oder geistigen Fähigkeiten haben, um die immer klüger werdenden Computer zu nutzen. Sie sind unter uns und es gibt Stimmen, die sagen, dass sie sogar über uns sind. Sie sind schlauer, sie sind schneller, haben das Wissen der ganzen Welt in ihrem Bauch und setzen sich über alle Sprachgrenzen hinweg.

Wer KI nutzt hat sozusagen ein zweites Gehirn, das ihm die Denkarbeit abnimmt. Euphorisch stehen die Vordenker vor mir, entwerfen das Bild einer neuen Welt mit einfühlsamen Computern und bildermalenden Robotern. Soweit mögen sie Recht haben, allein die heute schon automatisch erstellten Texte, Bilder und Video können selbst Fachleute beeindrucken. Eine als Kreativität verstandene Erstellung von Werken nach gewissen Regeln und Vorgaben schlägt jeden noch so gelehrigen menschlichen Schüler.

Doch es gibt eine immanente Grenze, die bei diesem Thema übersehen wird. Im Begriff der KI steckt vor der Intelligenz auch die Künstlichkeit, womit unter anderem ein Bezug zu digitalen Daten hergestellt wird. Anders ausgedrückt können sich Computer nur in Bereichen austoben, die der Digitalisierung zugänglich sind. Und dieser in der Praxis auch zugeführt werden. Handgeschriebene Aufstellungen in tief verborgenen Kirchenarchiven werden vermutlich niemals in elektronische Form überführt. Allein schon dieses Wissen geht also in der allgemeinen Zukunftsbegeisterung unter.

Neben dieser sozusagen systembedingten Unwissenheit ist auch eine gewisse Unberechenbarkeit zu berücksichtigen. Wobei das Wort Unberechenbarkeit ja bereits klar macht, dass Algorithmen hier nicht greifen können. Warum mir an einem Tag Mozart näher ist als ACDC, am anderen Tag aber genau andersherum, dass kann weder die Amazon-Verkaufsberatung noch ein hochgezüchteter GPT verlässlich einschätzen. Auch an dieser Stelle sind die neuen Ansätze eine phantastische Ergänzung, aber kein Ersatz für lebende Menschen.

Letzter noch bemerkenswerter Punkt ist die Individualität. Das Training künstlicher Intelligenz basiert auf großen Datenbergen, auf statistisch wahrscheinlichem Verhalten. Das Hochziehen von Mundwinkeln wird im Normalfall als Lächeln und damit Mimik der Freundlichkeit verstanden, kann aber im Einzelfall auch zu einer verzerrten Grimasse mit ganz anderer Aussage gehören.
Eine industrielle Produktionsstraße erstellt ein bestimmtes Werk, vielleicht mit ein paar optionalen Eigenheiten. Die Herstellung eines individuell angepassten Objektes ist nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich. Hier trifft sozusagen der Maßanzug auf die Konfektionsware von der Stange.

Zusammenfassen kann man feststellen, dass wir bereits heute und zunehmend immer mehr Elemente der Künstlichen Intelligenz im Alltag haben. Sie ergänzen, helfen und erleichtern viele mehr oder weniger lästige bzw. schwierige Situation zu meistern. Aber wie bei allen Hilfsmitteln dürfen wir nicht die Begrenzung aus den Augen verlieren oder anders formuliert: KI ist nicht über, sondern unter uns.