Mittwoch, 15. Mai 2024

Warum erzählst du mir das?

Im weithin bekannten Kommunikationsmodell von Friedemann Schulz von Thun werden die vier Seiten einer Nachricht in den Mittelpunkt gestellt. Da geht es neben dem Sachinhalt und der Selbstoffenbarung auch um die Beziehungshinweise und den Appell.

Schaue ich in der alltäglichen Praxis auf die Äußerungen meiner Mitmenschen, stellt sich für mich oft die Frage, was sie mir eigentlich sagen wollten. Oder mit welchem Ziel sie mir genau diese Sache erzählen. Verdeckt vom Sachinhalt bleibt unklar, was sie von mir erwarten, ob und wenn ja welche Handlungsaufforderung enthalten ist oder welche Reaktion sie in mir provozieren möchten.

Denn die vier Seiten des Kommunikationsmodells bearbeiten nur die oberste Ebene, sagen wir mal die offensichtlichen Gesichtspunkte. Etwas verborgener sind beispielsweise auch Aspekte der Nachrichtenentstehung von Interesse. Wer hat denn die gerade gehörte Aussage ursprünglich in die Welt gesetzt?

Für Menschen, die wenig naiv sind, stellt sich zudem die Frage, was der Sender mit seiner Mitteilung (und ihrer Formulierung) bei ihnen erreichen will. Mit tiefer gehender Betrachtung kann man versuchen, dem Manipulationsversuch auf die Schliche zu kommen. Wenn jemand mir von dem beeindruckend gepflegten Garten seines Nachbarn erzählt, will er mich vielleicht neidisch machen, möglicherweise aber auch die Qualität meiner gärtnerischen Leistung herabsetzen. Oder schlichtweg neugierig machen, wie denn dieses Kleinod in Grün aussehen mag.

Diese Erweiterung des Vier-Seiten-Modells erzwingt einerseits die Beschäftigung mit dem Sender, andererseits impliziert sie auch die Etablierung eines Vielfältigkeits-Prinzips. Jede Einzelaussage kann ich erst mal nur zur Kenntnis nehmen, da ich weder den Wahrheitsgehalt noch den Grad der Verfärbung durch mein Gegenüber einschätzen kann. Erst durch Ergänzung mit verschiedenen Informanten („da musst du dir auch mal die andere Seite anhören“) wird das Bild sukzessive verlässlicher und die daraus gezogenen Schlüsse werden angemessener.

Warum erzählst du mir das

Ein wenig ist das wie in der Mathematik bei der Bearbeitung von Gleichungen mit mehreren Unbekannten. Damit man im mathematischen Sinne eine eindeutige Lösung angeben kann, sind im Normalfall so viele Gleichungen wie Unbekannte notwendig. Ähnlich verhält es sich hier auch. Je unübersichtlicher eine Situation ist, desto mehr Meinungen muss ich dazu hören. Und mich bei jeder fragen, ob mein Gegenüber mir wissentlich oder unwissentlich etwas unterschiebt, um bei mir eine bestimmte Einstellung zu bewirken.

Mittwoch, 8. Mai 2024

Selbstregulierung

Vorweg: Ich gehe gerne schwimmen, also nicht plantschen, sondern schwimmen. Dabei bin ich kein Wettkampf-Schwimmer, aber ich ziehe schon recht zügig meine Bahnen. Das geht natürlich am besten, wenn um mich herum auch andere Schwimmer unterwegs sind, die im Idealfall etwa mein Tempo haben.

In meinem bevorzugten Hallenbad gibt es sechs abgetrennte Bahnen, und mehr oder weniger automatisch ergibt es sich, dass sich die Badegäste orientiert an ihrer Geschwindigkeit auf die unterschiedlichen Linien verteilen. Heute sind die flotten Kraulschwimmer auf Bahn zwei unterwegs, die gemütlichen Schwanenschwimmer auf Bahn fünf. Dazwischen dann zügige Brust- oder Rückenschwimmer. Wie gesagt, das verteilt sich von alleine.

Oder auch nicht. Auf meiner Bahn ist heute eine bunte Mischung unterwegs. Ein Ehepaar, von denen er knapp so schnell schwimmt wie ich, seine Ehefrau aber vom Typ Bleiente nur die halbe Geschwindigkeit erreicht, so dass ich sie alle vier Wendungen überholen muss. Und als Ergänzung ein weiterer Badegast, der abwechselnd langsam Brust und dann umso schneller Kraul schwimmt. Mal hängt er vor mir, mal überholt er mich ziemlich rücksichtslos, um dann nach der nächsten Kehre wieder vor mir herum zu dümpeln.

Realistische Selbsteinschätzung und rücksichtsvolles Einsortieren in die passende Bahn ist also Fehlanzeige. Naja, einen Sportabend lang kann ich das verschmerzen, aber mir begegnet dieses Phänomen auch immer wieder im Alltag. Sei es aus Rücksichtslosigkeit oder auch nur ausgeprägter Stumpfheit: Hier bin ich, ich habe genauso viel bezahlt und habe das Recht, mich auszuleben.

Im Becken kann ein notorischer Abweichler (sei er zu langsam oder zu schnell) den gesamten Schwimmbetrieb durcheinander bringen und für Störung des Trainings sorgen. Die sonst gut funktionierende Selbstregulierung setzt dann aus und führt eventuell dazu, dass irgendetwas reglementiert wird. Auf einmal wird die Geschwindigkeit vorgegeben und man wundert sich über eine doch eigentlich entbehrliche Vorschrift.

Das Schlimmste, so mein Fazit, ist nicht die Störung sondern die sich daraus ergebende Regulierung, die ohne die Stumpfen und besonders Schlauen nicht notwendig gewesen wäre, am Ende aber alle trifft.

Mittwoch, 1. Mai 2024

Das ganze Wissen des Internets

Betrachten wir doch mal mit zwei Behauptungen, die im Zusammenhang mit dem Internet immer wieder geäußert werden.

Das Internet vergisst nichts.
Das ist im Kern verkehrt, als Benutzer oder Konsument kann man oft schon nach wenigen Tagen nicht mehr auf Inhalte zugreifen, die aktualisiert wurden. Manchmal findet man dann noch die gewünschten Informationen in einem „Archiv“, aber selbst dort verschwinden sie oft im Laufe der Zeit.

Rein theoretisch kann es sein, dass manches auch über viele Jahre als Backup auf Datenspeichern konserviert wird, aber irgendwann (oft nach 10 Jahren) werden auch diese Sicherungskopien gelöscht.

Andererseits liegt die Steuerung der Verfügbarkeit nur bedingt in der Hand des Benutzers. Wer sein peinliches Facebook-Foto löscht kann nicht sicher sein, dass es zeitnah auch aus den Caches der Suchmaschinen verschwindet. Und dann können die eben erwähnten 10 Jahre ganz schön lang sein.

Im Internet findet man alles.
Das ist als Aussage rührend naiv. Grundlegend kann man schon mal festhalten, dass alle Informationen, Tipps, Anstöße in irgendeiner elektronischen Form – idealerweise als Text – vorliegen. Was nur weitererzählt wird, nur handschriftlich vorliegt oder ausschließlich in klassischer Buchform veröffentlicht wurde: Das ist von vornherein nicht im Internet zu finden.

Das ganze Wissen des Internets
Als Grundschüler habe ich meinen Lehrer bewundert. Er war zweifellos ein gebildeter Mann und in vielen Disziplinen zu Hause. Ich konnte ihm Blätter mitbringen und er wusste die Baumsorte, konnte mir erklären, warum eine Glühbirne leuchtet und wie Maare entstanden sind. In den Augen eines achtjährigen Kindes war er schlichtweg allwissend. Erst im Laufe der nächsten Jahre in der Oberschule, noch deutlich natürlich im Studium, stellte ich fest, dass er bei all seiner Bildung nur  einen ganz kleinen Teil des Weltwissens abbildete. Was ich allerdings als Kind nicht wissen konnte.

Mit ähnlicher Perspektive scheinen heutzutage auch viele Erwachsene nicht zu ihrem Grundschullehrer, sondern zum Internet zu stehen. Es ist jedoch nicht allwissend, und die engagiert geführte Diskussion zur Verlässlichkeit (also der Daten-Qualität) überdeckt leider den massiven Mangel an Daten-Quantität.

Folglich sind Roboter mit Künstlicher Intelligenz nur so gebildet, wie sie geschult wurden (das ist ja bei Menschen nicht anders). Und daneben können sie nur das wissen, was sie aus irgendwelchen (elektronischen) Datenquellen erfahren haben. Das ist zwar jede Menge, aber gemessen am derzeitigen (und historischen) Wissen der Menschheit geschätzt nur ein Siebtel – analog zum sichtbaren Teil eines Eisbergs.

Mittwoch, 24. April 2024

Pareto: Die 80-20-Regel im Alltag

Mal wieder auf der Autobahn. Das Navi hat für die Strecke eine Stunde berechnet. Das ist eine realistische Dauer, die sich auch mit meiner Erfahrung deckt. Ohne allzu großen Stress fahre ich mit rund 120 Stundenkilometern meinem Ziel entgegen. Plötzlich komme ich auf eine Idee, beschleunige und fahre die gewohnte Strecke mit 145 Stundenkilometern. Ziemlich genau 20 Prozent schneller, damit müsste ich also auch zwölf Minuten früher ankommen. Leider stimmt das nachher nicht, denn einerseits muss ich ja auch ein Stück Landstraße fahren (hier kann ich meine Geschwindigkeitserhöhung nicht durchziehen) und schon auf der Autobahn muss ich öfter abbremsen, weil irgendein anderes Fahrzeug mir im Weg ist.

Am Ende sind es dann knapp 54 Minuten, immerhin konnte ich 6 Minuten oder zehn Prozent herausholen. Allerdings war die Fahrt insgesamt deutlich anstrengender als normal, es war kein Fluss, sondern ein laufendes Beschleunigen und Abbremsen. Vom erhöhten Verbrauch und Verschleiß des Autos ganz zu schweigen.

Pareto Regel im Alltag
Das bisschen Vorteil habe ich mir recht teuer erkauft. Da denke ich an eine Faustformel, die Pareto zugeschrieben wird. In den letzten 20 Prozent der Optimierung stecken 80 Prozent des Aufwandes. Anders formuliert tut man gut daran, gar nicht das Maximum herauszuholen, sondern bei einer adäquaten Erreichung zu verbleiben. Mitarbeiter oder Technik zu verschleißen, um das Letzte herauszuholen erfordert unproportional hohen Einsatz und führt mittelfristig zu höheren Kosten.

Mittwoch, 17. April 2024

Der kann's

Es gibt viele Berufe und Fähigkeiten, die von Außenstehenden halbwegs richtig eingeschätzt werden. Ob jemand Klavier spielen kann, ein schönes Bild malen oder eine bestimmte Handwerksarbeit hinbekommt: Das kann auch ein Laie erkennen. Zwar ist die Bewertung der Qualität oder die Wertschätzung unterschiedlich, aber alle sind sich einig, dass es eine (mehr oder weniger erfolgreich) hinzugelernte Fertigkeit ist.

Daneben gibt es eine Fraktion von Fähigkeiten, die nur bedingt anerkannt werden. Irgendwie kann jeder singen, jeder kann aus divergierenden Informationen ein zusammenhängendes Bild erzeugen und jeder ist in der Lage, medizinische Sachverhalte besser als jeder Arzt zu beurteilen. Ebenso ist es keine erwähnenswerte Qualität, einen fehlerfreien Satz zu formulieren und zu Papier zu bringen.

Der kann es
Leider falsch! Während wir beim Handwerk anerkennen, dass eine Ausbildung erst nach einer mehrjährigen Lehre und einer Abschlussprüfung zu den gewünschten Ergebnissen führt, sind wir der Meinung, bei allen Dienstleistungen, Schreibtisch- und Denkarbeiten auf Augenhöhe mitmachen zu können. So wie wir spaßeshalber von mehreren Millionen Fußball-Bundestrainern sprechen, sind wir auch hier überzeugt, es nicht nur genauso gut, sondern sogar besser hinzubekommen.

Nein, das möchte ich deutlich machen, wir können nicht alles gleich gut wie die Profis. Gewiss ist das wie beim Elektriker, da gibt es auch gute und schlechte. Aber ich würde mich nicht dazu versteigen, mich für einen Elektriker zu halten, nur weil ich mal mit ein paar Drähtchen eine Lampe zum Brennen gebracht habe. Wo wir auf der einen Seite freiwillig einräumen zwei linke Hände zu haben und die Arbeit lieber den Blaumännern überlassen, sollten wir durchaus auch einräumen, dass manche Situationen uns auch intellektuell überfordern. Und damit umzugehen ist dann auch besser Sache derjenigen, die es gelernt haben.

(Oder wie Dieter Nuhr formuliert hat: "Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal Fresse halten.") 

Mittwoch, 10. April 2024

Wortkarg ist geil

Es gab ja mal Zeiten, da war Kommunikation ein wertvolles Gut. Auf Telefonapparaten war ein Schild „Fasse dich kurz!“, Papierbriefe wurden mühsam mit der Hand geschrieben, bei Telegrammen zählte jedes Wort. Und daneben war das Vervielfältigen schwierig oder nahezu unmöglich. 

Wortkarg ist geil
Wie schön, kann ich da nur stöhnen, wenn ich seitenlange E-Mails mit ausführlichen Anhängen erhalte. Das Zusammenschustern der Texte ist durch elektronische Eingabe erleichtert, Kopieren ist mit wenigen Handgriffen erledigt, der Empfängerkreis kann durch ein paar Mausklicks erweitert werden. Hier ist nichts wertvoll, Sparsamkeit oder vielleicht auch Achtsamkeit seinen Mitmenschen gegenüber ist nicht gerade das Gebot der Stunde.

Da wird geredet bis der Arzt kommt, die Mailbox mit entbehrlichen Informationen verstopft, Posts werden viral verteilt und Telefongespräche als Konferenz anberaumt. Jeder hat viel zu sagen und das tut er auch. Vielleicht sollte man wie an anderer Stelle üblich auch Kommunikation bepreisen. Jede Minute Redezeit kostet ein Betrag x, jede Zeile einer E-Mail macht den Versand teurer. Und natürlich wird auch der Umfang des Verteilers in Währungseinheiten umgesetzt.

Auf einmal kommen wieder alte Tugenden („In der Kürze liegt die Würze“) zum Tragen, wird im Vorfeld darüber nachgedacht, wen das überhaupt betrifft oder interessiert und ob die komplette Vorgeschichte nochmal erzählt werden muss.

„Genug der Worte“, mein Motto, also auch hier: Ausreichend, aber nicht überbordend.

Mittwoch, 3. April 2024

Aufbruch in die Agilität: Nach-Ostern

Sehen wir es mal als ganz große Reorganisation. Mit einer gewissen Vorlaufzeit ging eine Ära zu Ende, eine neue begann. Das Ende war bekanntlich nicht sehr schön, am Schluss stand der Tod am Kreuz. Aber das war eben nicht das Ende, vielmehr referenziert es darauf, dass wir Menschen uns oft mit der Frage beschäftigen, ob es ein Leben nach dem Tod gibt. Sicher endet im physischen Sinne eine Daseinsform, aber sie wird durch eine andere abgelöst. Oder um der Bibel an dieser Stelle zu folgen: Jesus Lebensende war der Beginn einer neuen Phase.

Aufbruch in die Agilität - Nach-Ostern
Im Unternehmenskontext erleben wir das auch immer wieder. Nur, weil ein Produkt ausläuft, die Kundenbedarfe sich ändern oder Sachen vielleicht aus der Mode kommen ist das nicht zwangsläufig ein endgültiger Schlussstrich. Vielmehr heißt es auch hier den Wechsel zu akzeptieren und nach einer Phase der Trauer mit neuem Mut aufzuerstehen. Mit neuen Inhalten, mit neuem Ansatz.

Gerade der aktuell sehr beliebte Ansatz der Agilität zeigt uns, dass man flexibel reagieren muss. Ein nicht erfolgreicher Weg wird dann eben nicht (mehr) begangen, stattdessen wird probiert, ob nicht ein anderer Ansatz (wieder) besser passt. Variationen und Testläufe inbegriffen.

Sicher muss man hier gedanklich einen Schritt machen, aber im Grunde ist dieses Prinzip auch in der einen oder anderen biblischen Geschichte zu finden. Und aus meiner Sicht in der Ostererzählung ganz besonders. Das stärkt den Mut in der Agilität, scheint es doch ein seit Jahrtausenden etabliertes Paradigma zu sein.