Vermutlich so alt wie die Menschheit ist der Versuch, sich miteinander zu verständigen, Kommunikation zu betreiben. Schon sehr früh spielen Laute, aber auch Bilder eine wichtige Rolle beim Austausch. Und nicht zuletzt regional bedingt bildeten sich im Laufe der Zeit verschiedene Kulturen aus, die sich jeweils in einer eigenen (Bild-)Sprache unterscheiden. Nun sind diese Sprachen nicht nur leicht unterschiedlich, betonen einen Buchstaben anders oder verschieben hier und da mal einen Konsonanten. Das würde man vielleicht Dialekt oder Mundart nennen. Nein, in der Praxis sind die Sprachen massiv unterschiedlich; Sowohl das Vokabular, also die Bezeichnung für einzelne Gegenstände oder Sachverhalte, als auch die Grammatik unterscheiden sich gewaltig.
Zur Überbrückung dieser Schwierigkeiten gibt es Übersetzer, Übertrager und bei entsprechendem Bedarf müssen wir uns mit der anderen Sprache beschäftigen. Sei es, dass wir sie in der Schule "lernen", sei es, dass wir uns im späteren Alltag zu einem Austausch befähigen müssen. Wir alle wissen, wie mühsam dieser Prozess sein kann, da gilt es, sich Vokabeln einzuprägen, Grammatik zu pauken und vielleicht sogar noch Schriftzeichen einzuüben.
Ganz anders bei der Muttersprache. Weder verabreichen wir einem Kleinkind ein Vokabelheft noch geben wir ihm syntaktische Regeln mit. Es lernt durch Zuhören, Nachplappern, Korrekturen. Schritt für Schritt. Das Gehirn extrahiert bei jedem gehörten Satz die Struktur und merkt sich die Regelmäßigkeit, so dass im selben Arbeitsgang gleichzeitig die Wort-Ding-Zuordnung und auch die Beugung der Wörter sowie Satzaufbau, -stellung und sonstige grammatikalische Details aufgenommen werden. Durch tausendfache Wiederholung erwachsen daraus Wortschatz und Sprachsicherheit.
Im Grunde ist es erstaunlich, dass heutige Lehrmethoden in der Schule diesen Lernvorgang immer noch zerlegen. Da wird separat ein Vokabelheft geführt, daneben liegt eine Grammatik und die einzige Verbindung ist dann ein Lehrbuch, das im besten Fall immerhin bebildert ist. Ich hatte vergessen zu erwähnen, dass gerade Bilder, aber auch das Anfassen der gerade neu gelernten Gegenstände eine wichtige Rolle beim Lernprozess spielen. Wer ein Ei in die Hand nimmt und dabei das zugehörige Wort lernt kann es sich viel besser merken. Unser Denkapparat ist nämlich ein Assoziationsspeicher und legt in diesem Moment den haptischen Eindruck, den Lautverlauf von "Ei", den optischen Eindruck, das Objekt und seinen sprachlichen Kontext ab.
Wir lernen aber noch mehr. Um am Beispiel Ei zu bleiben ergänzen wir mehr oder weniger zügig noch die Eigenschaften dieses Gegenstandes. Er ist zerbrechlich, ist essbar, wobei wir auch verschiedene Formen des Garens kennenlernen können, er kommt von Hühnern und wird von diesen gelegt. Ein frisch gelegtes Ei riecht neutral, das innere ist eine glibberige Masse. Etcetera.
All diese Eigenschaften lernen wir im natürlichen Umfeld als komplexe Kombination. Wenn die Mutter sagt "lass das Ei nicht fallen, sonst ist es kaputt" haben wir nicht nur eine Anweisung bekommen, sondern auch das Wort für das Ding gelernt. Und da wir es sehen können wissen wir auch beispielhaft über sein Aussehen Bescheid, fassen es ja gerade an (sonst wäre die Mahnung zur Vorsicht sinnlos), riechen es unwillkürlich und haben erfahren, dass es unter Krafteinwirkung irreversibel kaputt geht.
Es gibt also keine "Tabelle" in der alle uns bislang kennengelernten Gegenstände aufgeführt und mit Eigenschaften angereichert werden. In mehrdimensionaler Ablagestruktur werden n:m-Beziehungen aufgebaut, man kann die Attribute des Eis genauso abfragen wie andererseits eine Gruppierung nach Eigenschaften (zum Beispiel mit der Eigenschaft zerbrechlich) verschiedener Dinge vornehmen. Und natürlich Ähnlichkeiten abbilden (was hat noch diese Form), Ranglisten erstellen (was ist noch zerbrechlicher als ein Ei) und die verschiedenen Ausprägungen (Hühnerei, Straußenei etc.) ins Verhältnis setzen.
Eine Sprache zu lernen ist also kein isoliertes Vorhaben, es ist eng verknüpft mit Impulsen aus verschiedenen Disziplinen und Sinnen. Da wundert es nicht, dass das Ergebnis stark von der Kultur abhängt, denn auch diese ist ein Einflussfaktor, der unser Lernen und unsere Aufnahme von Wissen beeinflusst. Ob bewusstes Lernen als Wert geschätzt wird oder nur als Mittel zum Zweck dient, ist dabei genauso wichtig wie der Reichtum der angebotenen Reize.
So entwickelt sich Sprache und damit das Lernen einer Fremdsprache natürlich am besten, wenn es hierfür eine Motivation gibt und es obendrein eine möglichst große Vielfalt an Input gibt. Sicher liegt es zu einem merklichen Teil am jungen und wissensdurstigen Gehirn von Kleinkindern, wenn die Zweisprachigkeit recht leicht und aufwandsarm entsteht. Aber es hat ebenfalls etwas damit zu tun, dass beide Sprachen typischerweise nicht als Pauken, sondern als Erlebnis verschiedener Sinneseindrücke aufgenommen werden.
Wer auch als älterer Mensch eine weitere Sprache erlernen möchte, der hat besonders gute Chancen, wenn er dabei auf ein Ziel hinarbeitet, sich zum Beispiel mit seiner Geliebten verständigen können will. Und dazu keinen Volkshochschulkurs besucht, sondern sich mutig in die Alltagskommunikation stürzt.
Diese ganze Überlegung und die daraus abgeleitete Empfehlung ist durchaus nicht neu und kann beispielsweise bei der Methode von Vera F. Birkenbihl nachgelesen werden. Aber ich möchte an dieser Stelle die Allgemeingültigkeit betonen. Denn alles, was ich gerade über das Erlernen einer Sprache ausgeführt habe, gilt natürlich auch für ausnahmslos alle anderen Lerngebiete. Die Beschäftigung mit einer neuen Datenbanktechnologie ist nicht unbedingt griffig (im wörtlichen Sinne) und fällt uns deshalb von Natur aus schwerer als die Schulung einer sportlichen Geschicklichkeit. Umso wichtiger ist es, bei abstrakten Themen Bilder anzubieten und Analogien zu anfassbaren und damit be-greiflichen Dingen vorzustellen.